Tattoo-REACH: Was hat die strenge EU-Regulierung aus Sicht der Allergologie bisher gebracht

Tattoo-REACH: Was hat die strenge EU-Regulierung aus Sicht der Allergologie bisher gebracht

Es ist nicht mehr lange hin, da jährt sich am 04.01.2025 die allseits bekannte Tattoo-REACH EU-Verordnung schon zum 4. Mal. Die Zeit rennt aber auch, wenns Spaß macht.

Die gute Nachricht vorweg: Unsere Welt ist in den vergangenen Jahren, trotz strenger REACH-Regulierung, noch ein bisschen bunter geworden. Ob stets REACH-konform, lassen wir mal im Raum stehen.

18% der rd. 8,2 Mrd. großen Weltbevölkerung, wie man aus unterschiedlichen Quellen zusammengerechnet hat, tragen jedenfalls mittlerweile Farbe in der Haut. Das sind nicht wenige!

Hurra! Die EU 2020/2081 zur Änderung des Anhangs XVII der EG-Verordnung 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Evaluation, Autorisierung und Beschränkungen chemischer Stoffe (kurz: REACH) legt nun schon seit 4 Jahren ihren bürokratischen blassen Finger in den EU-Teil der frischen bunten Tattoo-Wunde.

Lieder reicht unser angemieteter Datenbank-Speicher wohl nicht ganz aus, um alle hier aufzuführen, die das unter Tränen, Schmerz und Haare raufen juckt.

Wen die Tattoo-REACH aber aus medizinischer Sicht tatsächlich juckt, weiß Dr. rer. nat. Steffen Schubert vom Informationsverbund Dermatologischer Kliniken (IVDK e.V.) in Göttingen.

Wer ihn noch nicht kennt – unbedingt merken: Dr. Schubert ist Tattoo-Allergie-Datensammler für ein klinisch-epidemiologisches Überwachungssystem, das Informationen generiert, die für die Prävention der Kontaktallergie erforderlich sind.

IVDK-Mitglieder sind Hautkliniken in der deutschsprachigen D/A/CH-Region und untereinander bestens mit Steffen vernetzt.

Um das nicht „alleine“ beantworten zu müssen, hat sich Dr. Schubert für eine äußert lesenswerte Arbeit tatkräftige und professionelle Unterstützung herangezogen.

Autoren als da wären:

Dr. Urs Hauri PhD (Kantonales Labor, Kanton Basel-Stadt, Schweiz)

Carina Wolf MSc und Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Uwe Karst (Institut für Anorganische und Analytische Chemie, Universität Münster, Deutschland

Dr. rer. nat. Katherina Siewert und Dr. rer. nat. Ines Schreiver (Studienzentrum Dermatotoxikologie, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin, Deutschland

Unterstützt hat zudem Steffi Lamm (Tattoostudio Extend the Scope, Göttingen und Bundesverband Tattoo e. V.) mit offenen Türen ihres Tätowierfarbenschranks.

Für diejenigen, denen die Georg Thieme Verlag KG außerhalb der Mediziner-Bubble nicht bekannt sein sollte.

Gegründet 1886 in Leipzig, heute als Ursprung der Thieme Gruppe in Stuttgart ansäßig mit dem Ziel als Verlag und darüber hinaus digitale und analoge Angebote in Medizin und Chemie und damit verbundene Informationsprozesse in der Wissenschaft, Ausbildung und Patientenversorgung zu unterstützen.

Nun in der 50. Jubiläums-Ausgabe AKTUELLE DERMATOLOGIE (Ausgabe 10 · Volume 50 · Oktober 2024 · eFirst) der über Thieme verlegten Fachzeitschrift veröffentlicht zu werden, ist mal wirklich „Butter bei die Fische“.

Leider wohl bisher nur in der digitalen eFrist-Version und mit Thieme Online-Zugang komplett lesbar, aber dafür 15 wirklich wichtige Seiten.

Update on tattoo inks and regulatory requirements: Significance for allergological diagnostics
Steffen Schubert, Urs Hauri, Carina Wolf, Uwe Karst, Katherina Siewert, Ines Schreiver
Date: Sep 3, 2024 © The Author(s). Rights managed by Thieme.

(Stark verkürzt:) Die Herausforderungen bei der Risikobewertung von Tätowierfarben umfassen zahlreiche Datenlücken bezüglich der Inhaltsstoffe und deren potenziellen Gesundheitsrisiken.

Zudem ist die tatsächliche Häufigkeit von neuen Komplikationen, wie den allergischen Reaktionen, unbekannt. Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Beschwerden scheint hoch zu sein.

Das erschwert die Bewertung. Auch die ungenauen Deklarationen von Inhaltsstoffen in Tätowierfarben stellen ein erhebliches Problem an unterschiedlichsten Stellen dar.

Die „Tattoo Studie 2.0“, die Steffen beim IVDK leitet, wird diese Datenlücken in der Zukunft versuchen zu verkleinern und die Verfügbarkeit von Testallergenen im Pigmentbereich verbessern.

Übrigens sei hier mal eben der Hinweis eingeschoben – sollte eine nichtinfektiöse Unverträglichkeitsreaktion aufgrund einer Tätowierung oder Permanent Make-up vorliegen – gerne und gleich an Steffen wenden:

In der IVDK Tattoo-Studie 2.0 gibt der IVDK, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kontaktallergie-Gruppe (DKG), dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und der Universität Münster, Hilfestellung bei der allergologischen Individualdiagnostik von Patientinnen und Patienten mit nichtinfektiösen Unverträglichkeitsreaktionen. Alle Dermatologischen Zentren des IVDK-Klinikverbundes können teilnehmen.

Die Toxizität der untersuchten Pigmente P.B. 15 und P.G. 7 wird als vergleichsweise gering eingestuft. Es konnte jedoch aufgrund von immer noch wirklich belastbaren toxikologischen großen Datenlücken keine vollständige Risikobewertung vorgenommen werden.

Die Risikoeinschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) deutet in der Arbeit darauf hin, dass aktuelle Ersatzstoffe für blau und grün wahrscheinlich nicht sicherer sind.

Pigment-blau 61 und Pigment-gelb 155 enthalten dazu entweder Anilin oder p-Phenylendiamin. Die Toxikologen stehen noch vor weiteren Herausforderungen, da die Anwendbarkeit von In-vitro-Tests für unlösliche Pigmente nicht validiert (bestätigt) ist.

Der Einsatz von Konservierungsmitteln in Tätowierfarben wird durch die EU-REACH-Verordnung und die EU-Biozidverordnung reguliert. Diese Verordnungen setzen Grenzwerte für bestimmte Konservierungsmittel (wie Benzisothiazolinon) und beschränken deren Verwendung auf maximal 10 ppm.

Hinzukommt bei der Herstellung steriler REACH-konformer Tätowierfarben, dass der Einsatz von Kolophonium und Formaldehyd-Abspaltern durch die Festsetzung von extremst niedrigen Grenzwerten de facto verboten wurde. Der Grenzwert für Aldehyde ist technisch im Moment somit nicht erreichbar.

Somit dürfen bekannte Stoffe, die in den Anhängen der EU-Kosmetikverordnung gelistet sind, nur sehr begrenzt in Tätowierfarben eingesetzt werden. Durch die Verknüpfung zur EU-CLP-Verordnung können bestimmte Konservierungsmittel, mit eigentlich vielsprechendem toxikologischen Bewertungs-Profil, in Zukunft nicht mehr eingesetzt werden.

Eine wirklich tolle Arbeit, in der viel Engagement aller Beteiligten steckt. Sie macht allerdings auch wieder einmal deutlich, welchen Impact die Tattoo-REACH im wahren Leben hat. Gut gedacht, unseren Alltag von schlimmen Chemikalien zu befreien, schnürt sie doch der kompletten Europäischen Tattoo-Industrie mächtig den Hals zu.

Mit Rückblick auf die vergangenen 4 Jahre Tattoo-REACH-Existenz durch die 6 Tattoo-Health-Profis darf man für sich eventuell feststellen, dass der Amtsschimmel im Deckmantel des geregelten Verbraucherschutzes eine ganze Branche durchreitet. Weniger jucken durch Tattoo-REACH tut es jedenfalls schonmal nicht, oder? Wehret, was da noch kommt…

** Hinweis zum Beitragsfoto: Das Bild zeigt kein echte gesundheitliche Reaktion auf Tätowierfarbe, sondern wurde digital bearbeitet.

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