Allergie auf Pigment-Rot trotz Tattoo-REACH

Allergie auf Pigment-Rot trotz Tattoo-REACH

Tattoos gehören zu unserem Alltag, wie Kaffee und Kuchen. Während Tätowierungen und Permanent Make-up handwerklich und künstlerisch vielfältiger denn je sind, bleiben trotz Einführung der Tattoo-REACH einige gesundheitliche Risiken und Nebenwirkungen bestehen.

Vor allem Allergien auf bestimmte Tattoo-Farben sind ein Thema, das sowohl Mediziner als auch Betroffene immer mal wieder beschäftigt. Besonders häufig scheint eine Allergie auf Pigment-Rot, was teils zu echten Tattoo-Komplikationen führen kann.

Seit dem 4. Januar 2022 gilt in der Europäischen Union die sogenannte REACH-Verordnung, die Tausende von Chemikalien in Tätowierfarben und Permanent Make-up einschränkt oder teils ganz verbietet.

Ziel dieser Regulierung ist es, das Tätowieren sicherer zu machen, Verbraucher besser zu schützen und den europäischen Flickenteppich der Chemikaliengesetzgebung aufzuräumen.

Eine aktuelle Untersuchung aus den Niederlanden zeigt jedoch, dass dieses Ziel bislang nur unzureichend erreicht wird. Ein Part davon sind Tattoo-Allergien auf Pigment-Rot, die trotz Angabe von REACH-Konformität ihrer Tattoo Inks immer mal wieder auftreten können.

Eine Allergie auf Pigment-Rot ist bei Tätowierungen oder auch Permanent Make-up kein neues Phänomen. Man kann schließlich auf einfach alles allergisch reagieren.

Selbst auf ein Anti-Allergiker-Kissen! Schon seit Jahrzehnten berichten Dermatologen, dass gerade rote Pigmente auffällig häufig mit Komplikationen verbunden sind.

Betroffene schildern anhaltendes Jucken, Schwellungen, Schmerzen oder auch eine Verdickung der Haut an den betroffenen Hautarealen. In schweren Fällen kann es sogar zu offenen Wunden und hartnäckigen Entzündungen kommen, die über Jahre hinweg bestehen bleiben.

Die Ursachen hierfür sind komplex. Vieles deutet darauf hin, dass nicht die ursprünglichen Pigmente selbst die Allergien auslösen (aber auch können), sondern ihre Abbauprodukte, die sich nach dem Tätowieren in der Haut bilden.

UV-Licht scheint diesen Prozess zu katalysieren. Bunte Kunden berichten daher immer wieder, dass sich die Beschwerden nach Aufenthalten in der Sonne deutlich und spürbar verschlechtern.

Diese Annahme wird zusätzlich dadurch gestützt, dass sogenannte Epikutantests, also Allergietests mit den Originalfarben, in der Regel negativ ausfallen.

Das könnte darauf hindeuten, dass nicht das Pigment an sich die Immunreaktion auslöst, sondern erst die Abbauprodukte, die in der Haut entstehen.

Tattoo poli“, die Tattoo-Clinic in der dermatologischen Abteilung des Alrijne Krankenhauses in Leiden hat die Situation nach Einführung der REACH-Verordnung genauer untersucht.

Zwischen Januar 2022 und Oktober 2024 wurden dort insgesamt 220 Tattoo-assoziierte Komplikationen dokumentiert. Von diesen Fällen handelte es sich bei 41 um allergische Reaktionen auf rote Tattoo-Pigmente.

Bemerkenswert ist, dass 15 dieser Fälle bei Tätowierungen auftraten, die nach Inkrafttreten der neuen EU-Regelung gestochen wurden. Dabei waren auch Farben im Einsatz, die als „REACH-konform“ deklariert waren.

Die Zahlen zeigen einerseits, dass Pigment-Allergien auf Rot zwar möglicherweise seltener geworden sind, andererseits aber keineswegs verschwunden.

Während in früheren Tattoo-Studien rund die Hälfte aller Tattoo-Komplikationen mit roten Farben in Verbindung gebracht werden konnte, liegt der Anteil in der neuen Untersuchung bei etwa neunzehn Prozent (bei Tattoo-poli in Holland!!).

Doch ob es sich dabei um einen tatsächlichen Rückgang handelt, lässt sich nicht sicher feststellen. Die Studienzeiträume, die Methodik und auch die klinischen Rahmenbedingungen unterscheiden sich zu stark, um hier eine eindeutige Schlussfolgerung zu ziehen.

Ja, die gibt es und die Tattoo, Wissenschaft und Medizin kennt sie und prangert sie an vielen Stellen immer wieder an.

Ein zentraler Kritikpunkt an der REACH-Verordnung ist dabei ihr begrenzter Geltungsbereich in Bezug auf allergieauslösende Pigmente.

Zwar verbietet die Verordnung zahlreiche gefährliche Substanzen, doch etliche Pigmente, die nachweislich Allergien auslösen könnten, sind weiterhin erlaubt.

Ein Beispiel dafür sind die Farbstoffe Pigment Red 170 und Pigment Red 266. Beide wurden mehrfach in Zusammenhang mit Allergien beschrieben, sind unter REACH aber nicht verboten.

Kurioserweise (steht im Editorial) wurde ein chemisch sehr ähnlicher Farbstoff, Pigment Red 210, hingegen untersagt (Kenner wissen, dass PR 210 eine Mischung aus PR 170 und PR 266 ist). Diese Inkonsistent wirft immer wieder Fragen auf, wie umfassend und schlüssig die Regulierung tatsächlich ist. Wer im Thema ist, wird sich also sein Stirnrunzeln nebst Grinsen gerade sicherlich nicht verkneifen können.

Ein weiteres Problem, dass dieses Paper hier um das es geht zum Ausdruck bringt, ist die Verwendung alter Farbbestände, die vor Inkrafttreten der Tattoo-REACH produziert wurden.

Solche Farben sind teilweise weiterhin als Künstler-Bedarfs-Farben online erhältlich und könnten von Tätowierern nicht nur als Fenstermalfarbe genutzt werden. Ob und wie streng die Einhaltung der Regelungen kontrolliert wird, ist bislang unklar. Jedes EU-Land kontrolliert hierzu natürlich selbst. Hat Holland da ein Problem? Wir gucken jetzt alle mal geradeaus und nicht nach Spanien!

Auch die Deklaration angeblich REACH-konformer Tattoo Inks ist leider nicht immer verlässlich. Analysen haben ergeben, dass die Inhaltsstoffe teilweise nicht mit den Angaben auf dem Etikett übereinstimmen.

Es gibt also eine gewissen Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. Die Situation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass es bislang keine harmonisierten Testmethoden gibt, um die Zusammensetzung von Tattoo-Farben zuverlässig nach REACH in der EU zu prüfen.

Die Ergebnisse der niederländischen Untersuchung verdeutlichen, dass die gegenwärtige Regulierung noch nicht ausreicht, um Betroffene zuverlässig zu schützen.

Hautarzt Dr. van der Bent fordert daher mehrere Maßnahmen.

Die Liste der verbotenen Pigmente müsse dringend angepasst werden, um auch jene Stoffe zu erfassen, die in der Praxis immer wieder Allergien auslösen. (Anm.: Wir müssen hoffentlich nicht darauf hinweisen, dass diese Idee rasch zu einem allgemeinen Tattoo-Verbot führen könnte.)

Gleichzeitig müsse die Entwicklung standardisierter Testverfahren vorangetrieben werden, um die Zusammensetzung von Tattoo-Farben europaweit kontrollierbar zu machen. (Hierzu gibt es btw. auch schon eine gut gereifte Stellungnahme vom BfR Berlin zu.)

Darüber hinaus sollten allergische Reaktionen systematisch erfasst werden. Etwa durch nationale Meldesysteme oder Register. Nur so lassen sich verlässliche Daten über die Häufigkeit und die Ursachen der Komplikationen gewinnen. (Anm.: Der IVDK in Göttingen registriert solche Fälle als Forschungsinstitut ohne „Meldepflicht“ in der D/A/CH-Region.)

Schließlich ist auch die Forschung gefragt, die Abbauprozesse der Pigmente besser zu verstehen. Wenn klar ist, welche Abbauprodukte tatsächlich die Allergien auslösen, können gezielte Verbote ausgesprochen und klinisch relevante Tests entwickelt werden. (Anm.: Die Forschung weiß in vielen der Fälle, um welche Spalt- oder Abbauprodukte es sich handelt. Nur sind die Fallzahlen nicht hoch genug, um ein echtes öffentliches Interesse plausibel machen zu können. Und das zeigt ja auch das Ergebnis von Sebastiaans Untersuchung, wenn man mal genau liest > 6 Allergie-Patienten nach REACH inkrafttreten in 33 Monaten.)

Wer sich mit der Thematik Tattoo-Gesundheit stetiger auseinandersetzt, der weiß, dass nicht nur große Kohorten-Studien laufen, sondern der kennt auch Dr. rer. nat. Steffen Schubert vom Informationsverbund Dermatologischer Kliniken (IVDK e.V.) in Göttingen.

Was die strenge EU-Regulierung Tattoo-REACH aus Sicht der Allergologie bisher gebracht hat, und wer sich unter anderem kümmert, haben wir bereits im November 2024 beschrieben. Also gerne nochmal ergänzend lesen!

Für Menschen mit einer vermeintlichen Tattoo-Allergie bedeutet all das vor allem eines: Geduld und eine enge Zusammenarbeit mit spezialisierten Dermatologen und Allergologen.

Allergische Reaktionen verschwinden nicht einfach von selbst. Manche Betroffene finden vorübergehend Linderung durch Kortison-Präparate. Doch die einzige nachhaltige Lösung besteht häufig in der professionellen Tattooentfernung mit modernen Lasersystemen oder einer Skalpell-OP.

Auch wenn diese Behandlungen in der Regel erfolgreich sind, bergen sie ihre eigenen Risiken und sind unbedingt in ärztlich geführten Einrichtungen durchzuführen.

Betroffene sollten außerdem wissen, dass UV-Licht die Beschwerden erst auslösen und dann auch noch verschlimmern kann. Sonnenschutz ist daher essenziell, um die Symptome nicht noch weiter zu verstärken.

Tätowierungen sind ein fester Bestandteil unserer Kultur, doch gesundheitliche Risiken bleiben bestehen. Die Tattoo-REACH Verordnung ist ein wichtiger Schritt, um Tätowierfarben sicherer zu machen. Sie weist sicherlich deutliche Schwächen auf. Allergien (übrigens nicht nur) auf rote Tattoo-Pigmente treten weiterhin auf und zeigen, dass der Handlungsbedarf nicht vernachlässigt werden sollte. REACH bedeutet aber auch nicht automatisch 0,00 Risiko.

Für Betroffene heißt das:

Tattoo-Beschwerden müssen ernst genommen werden. Ärztliche Hilfe zu suchen und mögliche Behandlungsoptionen frühzeitig zu besprechen ist sicherlich hilfreicher als die private Foto-Dokumentation vom Geschehen im Social Media im Küchenrezepte-Chat zu diskutieren.

Für Politik und Wissenschaft heißt das:

Regulierung nachjustieren, Forschung intensivieren und die Überwachung verbessern. Nur so kann das Tätowieren in Europa langfristig wirklich sicherer werden. Jedenfalls macht das der Anstoß von Herrn Dr. van der Bent hier deutlich.

Allergien gegen rote Tätowierungen nach der REACH-Verordnung: Ein anhaltendes Problem.

Van der Bent S. Red tattoo allergies after REACH regulation: a continuing problem. Dermatol Reports. 2025 Sep 2. doi: 10.4081/dr.2025.10462. Epub ahead of print. PMID: 40891764.

Unser persönlicher Dank gilt hier jetzt Herrn Dr. Sebastiaan A. S. van der Bent, der mit seiner Arbeit entscheidend dazu beiträgt, Tattoo-Komplikationen besser zu verstehen.

Auf seinem Leitartikel, den er Anfang September im Dermatology Reports veröffentlicht hat, basiert unser Blog-Beitrag.

Sebastiaan leitet eine der mittlerweile weltweit vier Tattoo-Clinics (Kopenhagen, New York, Paris) „Tattoo poli“ in den Niederlanden.

Seine Spezialsprechstunde ist europaweit bekannt, weil dort seit vielen Jahren wissenschaftlich fundiert zu Tattoo-Komplikationen geforscht und Betroffene behandelt werden.

Dr. van der Bent ist nicht nur erfahrener Dermatologe, sondern auch Vorstandsmitglied unserer European Society of Tattoo and Pigment Research (ESTP), Mitglied der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) und Nederlandse Vereniging voor Dermatologie en Venereologie (NVDV).

Mit seiner Kombination aus klinischer Erfahrung und wissenschaftlicher Expertise bringt er wertvolle Erkenntnisse in die Diskussion um sichere Tattoo- und PMU-Farben mit ein und engagiert sich dafür, dass Regulierung, Forschung und Patientenversorgung enger verzahnt werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare werden erst nach unserer manuellen Freigabe öffentlich sichtbar, was etwas Zeit in Anspruch nehmen kann. Beachten Sie dazu bitte, neben der Netiquette, auch unsere Datenschutzrichtlinen