Zukunft der Tattoo-Branche und ihrer Farben

Zukunft der Tattoo-Branche und ihrer Farben

Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Christian Leye, Dr. Gesine Lötzsch, Victor Perli, Heidi Reichinnek und der Fraktion DIE LINKE.

Deutscher Bundestag

Drucksache 20/841 20. Wahlperiode 25. Februar 2022 (Zitat)

„Tätowierungen sind schon lange kein Randphänomen mehr, sondern erfreuen sich besonders in der Populärkultur einer hohen Präsenz. Nach einer Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov, die im Juli 2021 durchgeführt wurde, hat nahezu jede vierte Person in Deutschland ein Tattoo. In der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen sind Tattoos besonders beliebt, rund 26 Prozent haben bereits ein oder mehrere Tattoos (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1253983/umfrage/umfrage-in-deutschland-zu-tattoos-nachaltersgruppen/).

Die Tradition der Tätowierung gehört unzweifelhaft zu den frühsten und weltweit verbreiteten Kunst- und Kulturformen. Während sich Forscherinnen und Forscher in gesellschafts-, kulturanthropologischen oder erziehungswissenschaftlichen Disziplinen schon seit mehreren Jahrzehnten für Tätowierungen interessieren, rückt auch zunehmend die Kunstwissenschaft Tattoos in den Fokus ihrer Betrachtung, etwa durch Publikationen (vgl. z. B. Ole Wittmann: Tattoos in der Kunst. Materialität – Motive – Rezeption, 2017) oder durch Ausstellungen, wie die Ausstellung TATTOO im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 13. Februar bis 6. September 2015. Tattoos sind jedoch nicht nur ein Accessoire, sondern auch eine persönliche Ausdrucksform. Sie können Ihren Trägerinnen und Trägern dabei helfen, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten oder Erinnerungen festzuhalten. Selbst im medizinischen Bereich sind Tätowierungen sinnvoll, etwa bei Rekonstruktionen oder Überdecken von Narben.

Wie vielen Wirtschaftsbereichen auch, hat die Corona-Pandemie der TattooBranche zugesetzt. Die schwierige ökonomische Situation droht sich nun durch eine am 4. Januar 2022 in Kraft getretene Änderung des Anhangs der Europäischen Chemikalienverordnung (REACH) zu verschärfen.

Änderung des Anhangs XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006: https://eur-lex.europa.eu/eli/reg/2020/2081/oj

Die Verordnung sieht eine sukzessive Beschränkung von bestimmen Inhaltsstoffen in Tätowiermitteln vor, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein. Für die Pigmente Green 7 und Blue 15:3 bekamen die Herstellerinnen und Hersteller eine längere Schonfrist eingeräumt, um alternative Formeln zu entwickeln. Beide Farbpigmente werden daher erst ab 2023 verboten. Vor diesem Hintergrund arbeiten derzeit Tätowiererinnen und Tätowierer unter erschwerten Bedingungen, denn die Auswahl an neuen, REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals)-konformen Farben ist bislang begrenzt und unübersichtlich. Zwar arbeiten Herstellerinnen und Hersteller an neuen Farbformeln, offizielle Marktzulassungen von neuen Produkten sind jedoch noch nicht bekannt. Sollten für die Pigmente Green 7 und Blue 15:3 keine geeigneten Alternativen gefunden werden, droht rund 66 Prozent der sich aktuell auf dem Markt befindlichen Farben ein Verbot (https://feelfarbig.com/artikel/save-the-pigments-resolutionsantrag-fuer-tattoo-reach-vorerst-verhindert/).

Nicht zu Unrecht warnen Branchenvertreterinnen und Branchenvertreter vor der Gefahr einer wachsenden Schattenwirtschaft, indem Teile der Branche ihr Gewerbe abmelden und Farben aus dubiosen Quellen beziehen, deren Inhaltsstoffe unbekannt, oder gar fehldeklariert sind. Eine derartige Entwicklung würde das eigentliche Vorhaben der EU, Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen, konterkarieren (https://bundesverband-tattoo.de/2021/01/17/save-thepigments-unser-aufruf-zur-unterstuetzung-der-eu-petition/).

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Popularität von Tattoos, fordert der Bundesverband Tattoo e. V. eine längere Übergangsfrist und eine höhere Anerkennung der Branche (https://bundesverband-tattoo.de/2022/01/03/pressemitteilung_tattoo2030/).

Das Deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat in seiner Stellungnahme vom 8. September 2020 darauf hingewiesen, dass die verfügbaren Daten zu den Pigmente Green 7 und Blue 15:3 für eine gesundheitliche Risikobewertung unzureichend sind. Bisherige Studien weisen jedoch nur auf eine vergleichsweise geringe Toxizität hin. Das BfR empfiehlt, die Datengrundlage für beide Pigmente zu verbessern und sieht, hinsichtlich der vergleichsweise geringen Toxizität, keinen akuten Handlungsbedarf (https://www.bfr.bund.de/cm/343/taetowiermittel-risikoeinschaetzung-von-pigment-blau-15-3-und-pigment-gruen-7.pdf).

Das Verbot der Farben beruht derzeit auf einer nicht ausreichenden Datenlage. Branchenvertreterinnen und Branchenvertreter kritisieren, nicht genügend in das EU-Gesetzgebungsverfahren eingebunden worden zu sein, obwohl sie für die Sicherheit der Produkte verantwortlich sind Laut den aktualisierten FAQ des BfR vom 6. Januar 2022 besteht vor allem Forschungsbedarf in Hinblick auf die „Verteilung, Verstoffwechselung und Ablagerung bzw. Ausscheidung der Farbpigmente sowie der weiteren Inhaltsstoffe von Tätowiermitteln im Körper“ (https://www.bfr.bund.de/cm/343/fragen-undantworten-zu-taetowiermitteln.pdf).

Zwar arbeitet das BfR bereits in Kooperation mit der Charité Berlin an der Gewinnung von Humandaten, doch chronische Gesundheitsauswirkungen wie z. B. Krebs treten für gewohnt erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Einwirkung auf und können daher nur schwerlich mit bestimmten Tattoo-Inhaltsstoffen verknüpft werden (ebd.). Möglich ist dies durch epidemiologische Daten, „die jahrzehntelang große Kohorten verfolgen, untersuchen und abbilden sowie die Tätowierung von Menschen erfassen“.

Nur so kann ein Zusammenhang zwischen Tattoo-Inhaltsstoffen und schädlichen Effekten aufgedeckt werden. Dies gelte auch für die Pigmente und toxischen Elemente, die als Nanopartikel in Lymphknoten gefunden wurden (ebd.).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Tätowiererinnen und Tätowierer wurden nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen 2015 und 2021 in Deutschland als Gewerbe gemeldet (bitte nach Jahr aufschlüsseln)?

2. Wie viele Tätowiererinnen und Tätowierer haben nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen 2015 und 2021 weitere Gewerbe und in welchen Kategorien angemeldet?

3. Wie viele Tattoo-Studios wurden nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen 2015 und 2021 in Deutschland als Gewerbe gemeldet (bitte nach Jahr aufschlüsseln)?

4. Wie viele Tätowiererinnen und Tätowierer arbeiteten nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen 2015 und 2021 in einem Angestelltenverhältnis (bitte nach Jahr aufschlüsseln)?

5. Liegen der Bundesregierung Erhebungen von nicht gemeldeten TattooStudios zwischen 2015 bis 2021 vor?

6. Wie hoch gestaltet sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil an freiberuflich Tätigen innerhalb der Tätowiererschaft zwischen 2015 bis 2021 (bitte nach Jahr aufschlüsseln)?

7. Wie viele Tätowiererinnen und Tätowierer arbeiten nach Kenntnis der Bundesregierung als sogenannte mobile Tätowiererinnen und Tätowierer?

8. Welchen Umsatz erwirtschaftet die Tattoo-Branche in Deutschland pro Geschäftsjahr seit 2015 bis 2021 (bitte nach Jahr aufschlüsseln)?

9. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils der durchschnittliche Jahresumsatz, den ein Tattoo-Studio und freiberuflich tätige Tätowiererinnen und Tätowierer in Deutschland pro Jahr erzielen?

10. Wie viele selbstständige und freiberufliche Tätowiererinnen und Tätowierer haben nach Kenntnis der Bundesregierung seit Beginn der CoronaKrise Corona-Soforthilfen beantragt und bewilligt bekommen?

11. Wie viele selbstständige und freiberufliche Tätowiererinnen und Tätowierer haben nach Kenntnis der Bundesregierung Grundsicherung oder Wohngeld während der Corona-Krise beantragt und wie viele bewilligt bekommen?

12. Wie viele selbstständige und freiberufliche Tätowiererinnen und Tätowierer haben nach Kenntnis der Bundesregierung seit Beginn der CoronaKrise bis heute Insolvenz beantragt (bitte nach Jahren und Bundesländern aufschlüsseln)?

13. Wie viele angestellte Tätowiererinnen und Tätowierer mussten während der Corona-Pandemie in Kurzarbeit geschickt werden?

14. Beabsichtigt die Bundesregierung, die bereits begonnenen Bemühungen um die Etablierung einer Berufszugangsregelung fortzusetzen?

15. Wie und in welchen Punkten unterstützt die Industrie- und Handelskammer (IHK) den Berufszweig der Tätowiererinnen und Tätowierer nach Kenntnis der Bundesregierung?

16. Wie viele Tätowiererinnen und Tätowierer mussten nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem Inkrafttreten der Verordnung zum Schutz vor schädlichen Wirkungen nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSV) die Dienstleistung der Tattoo-Entfernung als Teilbereich ihrer Beruflichkeit nicht mehr ausführen?

17. Wie viele medizinische Behandlungen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen 2015 und 2021 erfasst, die im Zusammenhang mit Tätowierungen stehen (wenn möglich, bitte nach Jahr aufschlüsseln)?

a) Bei wie vielen der Behandlungen handelte es sich um Tattoo-Entfernungen?

b) Wie viele der Behandlungen kamen im Bereich der plastischen Chirurgie zum Einsatz?

c) Wie viele der Behandlungen beruhen auf unerwünschten dermatologischen oder sonstigen Folgewirkungen eines Tattoos?

d) Wie viele der Behandlungen gehen auf Komplikationen verursacht durch Nachsorgefehler seitens der Tätowierten zurück?

18. Erachtet die Bundesregierung die Erstellung einer Positivliste für Tätowiermittel für sinnvoll, um mehr Sicherheit für Tätowierende und Tätowierte zu schaffen?

19. Hat die Bundesregierung die Forderung nach einer längeren Übergangsfrist für Herstellerinnen und Hersteller von Tätowiermitteln bewertet, um REACH-konforme Farben zu entwickeln, und wenn ja, wie?

20. Welche konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die Erstellung einer Positivliste zu fördern?

21. Durch welche Maßnahmen verbessert die Bundesregierung die Datenlage zur Risikobewertung der Pigmente Green 7 und Blue 15:3?

22. Wurden Gespräche durch die Bundesregierung oder – sowie bekannt – die ECHA (Europäische Chemikalienagentur) mit den Herstellerinnen und Herstellern von Tätowiermitteln geführt, damit diese fehlende Informationen und Nachweise zu offenen Fragen bei der Unbedenklichkeit der Pigmente Blue 15:3 und Green 7 nachreichen?

23. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung durch die Beauftragung von Studien und Forschungsarbeiten die Entwicklung von REACH-konformen Tattoo-Farben – allen voran alternative Formeln der Pigmente Green 7 und
Blue 15:3?

24. Inwiefern trägt die Bundesregierung dazu bei, eine epidemiologische Datenlage zu generieren, um einen Zusammenhang zwischen TattooInhaltsstoffen und gesundheitsschädlichen Effekten aufzudecken?

25. Durch welche Maßnahmen greift die Bundesregierung zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher die Bedenken des BfR auf, dass statt der Pigmente Blue 15:3 und Green 7 in Zukunft weniger gut untersuchte Stoffe zum Einsatz kommen könnten, die gesundheitsschädigender sind und nicht unter den Anwendungsbereich der Beschränkung fallen?

26. Durch welche Maßnahmen will die Bundesregierung die von den Branchenvertreterinnen und Branchenvertretern in Zukunft befürchtete Schattenwirtschaft und illegale Verwendung von nicht zugelassenen Tätowiermitteln zum gesundheitlichen Nachteil der Verbraucherinnen und Verbrauchern verhindern?

27. Erachtet die Bundesregierung eine Erhebung der fehlenden Daten und Studien, nach denen diese Kleine Anfrage um Auskunft bittet, für sinnvoll und wird die Bundesregierung fehlende Daten und Studien kurz- und mittelfristig durch entsprechende Maßnahmen erheben (bitte begründen)?

Berlin, den 24. Februar 2022
Amira Mohamed Ali, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion“

Quelle: https://dserver.bundestag.de/btd/20/008/2000841.pdf

Antwort der Bundesregierung

auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Christian Leye, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 20/841 –

(Zitat und Quelle):

„Tätowiermittel sollen auf Gesundheitsrisiken geprüft werden

Wirtschaft/Antwort – 30.03.2022 (hib 144/2022) Drucksache 20/1158

Berlin: (hib/EMU) Die Bundesregierung hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) beauftragt, ein Konzept für eine fundierte Risikobewertung von Tätowiermitteln auf wissenschaftlicher Basis zu erstellen. Das geht aus einer Antwort (20/1158) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (20/841) der Fraktion Die Linke hervor. Derzeit sei die toxikologische Datenbasis für eine umfassende Risikobewertung von Substanzen, die in Tätowiermitteln verwendet werden, noch nicht ausreichend, heißt es weiter in der Antwort.

Es bestehe noch Forschungsbedarf zur Entwicklung und Etablierung geeigneter Methoden für eine solche Bewertung. Erst danach könne die Etablierung einer sogenannten Positivliste für Substanzen geprüft werden. Die Abgeordneten hatten gefragt, ob eine Positivliste eingeführt werden solle. Der Bundesregierung sei die Stärkung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes im Bereich der Tätowiermittel „ein wichtiges Anliegen“, so die Antwort: „Sie hat sich deshalb wiederholt, zuletzt Mitte 2020, gegenüber der EU-Kommission für eine EU-weite produktspezifische Regelung für Tätowiermittel eingesetzt, mit der grundsätzlich auch die Etablierung einer Positivliste möglich wäre.““

Antworten der Bundesregierung (Quelle):

https://dserver.bundestag.de/btd/20/011/2001158.pdf

Herausgeber

Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten

Verantwortlich: Christian Zentner (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Lisa Brüßler, Claudia Heine, Alexander Hein

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