Wie weit es die Tätowierung auf ihrem Jahrtausende alten Weg mittlerweile geschafft hat, sehen wir unlängst nicht nur im eigenen Freundes und Familienkreis. Das Tattoo ist wirklich ein spannendes kulturelles, medizinisches wie wissenschaftliches hochinteressantes Phänomen. Doch mit ihrer Popularität wächst auch die Sorge, ob Tätowierfarben Lymphomkrebs auslösen könnten? Eine neue systematische Übersichtsarbeit zur Überprüfung potenzieller Nebenwirkungen, gerade in der November Ausgabe Vol. 89, 2025 erschienen in eClinicalMedicine (Teil von THE LANCET Discovery Science ), liefert nun erstmals eine zusammenfassende Antwort auf diese wichtige Frage. Sie fällt (nicht) überraschend aus.
Die Forschungslage: Warum Tattoos unter Lymphom-Verdacht geraten sind
Das Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), zählt mit seinen weltweit über 550.000 Neuerkrankungen lt. GLOBOCAN Datenbank der IARC (Stand 2022) zu den häufigsten hämatologischen Erkrankungen des lymphatischen Systems. (Die Hämatologie umfasst die Erkrankungen des Blutes, des Knochenmarks und des lymphatischen Systems.)
Die Ursachen hierfür scheinen vielfältig und reichen von genetischen Dispositionen über Virusinfektionen, dem Alter bis hin zu Umweltfaktoren.
Als ein solcher Umweltfaktor gilt als Beispiel Benzol. Ein aromatischer Kohlenwasserstoff, den wir aus Autoabgasen, Zigarettenrauch, Erdöl und vor allen Dingen von der Tankstelle kennen, wo es gerne mal süßlich riecht.
Diese Substanz kommt auch in aromatischen Aminen vor. Also chemischen Verbindungen, die in bestimmten Tätowierfarben nachweisbar sind.
Dazu wissen wir aus Studien, dass Tattoo-Pigmente nach dem Stechen nicht nur in der Haut verbleiben. Vielmehr werden sie über das Lymphsystem in regionale oder sogar entfernte Lymphknoten transportiert, wo sie nachweislich über Jahre und Jahrzehnte gespeichert bleiben.
Diese Erkenntnisse haben in den letzten Jahren Spekulationen über ein mögliches Lymphom-Risiko entfacht. Insbesondere, weil das Lymphsystem auf toxische Stoffe besonders empfindlich reagieren kann.
Gibt es nun ein erhöhtes Lymphom-Risiko aufgrund von Tattoos, oder nicht?
United Kingdom und das internationale Forscherteam um Thomas McConnell (University of Nottingham, UK) und Jimmy Xu (Royal Derby Hospital, UK) hat nun erstmals die uns bereits bekannten Studien zum Thema Lymphom-Risiko aufgrund von Tattoos systematisch ausgewertet.
Wer den zugehörigen Artikel (Volltext) gerne mal im Original lesen möchte, findet ihn hier:
McConnell T, Xu J, Freeman J, Zak I, Frain J. Investigating the potential association between tattoos and lymphoma: an exploratory systematic review and meta-analysis. EClinicalMedicine. 2025 Oct 9;89:103563. doi: 10.1016/j.eclinm.2025.103563. PMID: 41140458; PMCID: PMC12547158.
Ziel war es, die Häufigkeit von Non-Hodgkin-Lymphomen bei tätowierten im Vergleich zu nicht tätowierten Erwachsenen aus den uns allen bekannten Studien zu vergleichen und die Wahrscheinlichkeit der Lymphom-Entstehung zu untersuchen.
1.) McCarty et al., UTAH, 2024 >>
2.) Nielsen et al., SCHWEDEN 2024 >>
3.) Warner et al., KANADA 2020 >>
4.) Clemmensen et al., DÄNEMARK 2025 >>
Insgesamt wurden 17.941 Teilnehmer (2.485 Fälle und 15.456 Kontrollen) in vier Beobachtungs-Studien und drei Fallberichten analysiert. Die Datenbasis wurde nach streng wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt und das Studiendesign im PROSPERO-Register (Prospective Register of Systematic Reviews) hinterlegt.
Das Ergebnis hieraus ist klar: Es ließ sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Tätowierungen und dem Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) nachweisen.
Die berechnete Odds Ratio, also das Maß für das relative Erkrankungsrisiko, lag bei 1,01 mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall zwischen 0,82 und 1,24.
Damit ist das Risiko von tätowierten Personen praktisch identisch mit dem von nicht tätowierten.
Auch in der Unteranalyse einzelner Lymphomtypen, etwa des follikulären oder des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms, zeigte sich kein Unterschied.
Good News from UK: Was diese Ergebnisse bedeuten und was nicht
Diese Zahlen sind ein wichtiger Befund dafür, dass es derzeit keinen wissenschaftlich belegten Beweis (Evidenz) dafür gibt, dass Tätowierungen Lymphome begünstigen. Das bedeutet aber nicht, dass Tattoos grundsätzlich frei von gesundheitlichen Risiken und Nebenwirkungen sind.
Die beiden Erstautoren betonen hier, dass die Qualität der verfügbaren Daten bislang zu niedrig ist. Viele der analysierten Studien weisen methodische Schwächen auf, wie etwa die unvollständige Erfassung von Lebensstil-Faktoren wie Rauchen oder Berufsexposition.
Außerdem unterscheiden sich die chemischen Zusammensetzungen von Tätowierfarben zwischen Ländern und Herstellern teils erheblich, was konkrete detaillierte Vergleiche erschwert.
Daher fällt das Fazit hier differenziert aus. Die vorhandenen Belege reichen nicht aus, um einen Zusammenhang zwischen einem erhöhten Lymphom-Risiko und dem Tätowieren herzustellen. Aber es gibt auch keine abschließende Entwarnung.
Zu bedenken wäre in diesem Kontext zudem, dass man als Tätowierter trotzdem an Lymphomkrebs erkranken kann – nur das Tattoo daran nicht schuld ist.
Einzelfälle liefern Hinweise, aber keinen kausalen Beweis für ein erhöhtes Lymphom-Risiko aufgrund von Tattoos
In die Analyse flossen auch drei Fallberichte ein, die von Lymphomen innerhalb tätowierter Hautareale berichten. Diese Fälle, wie etwa zum marginalzonenartigen B-Zell-Lymphom in einem alten schwarzen Tattoo oder ein follikuläres Lymphom in einem mehrfarbigen Tattoo einer jungen Frau, zeigen interessante Zusammenhänge.
Sie belegen, dass das Immunsystem an tätowierten Stellen reagieren kann. Doch sie sind zu selten und zu individuell, um hieraus eine generelle Gefahr für die tätowierte Bevölkerung abzuleiten.
Vielmehr geht man hier davon aus, dass es sich wahrscheinlich um immunologische Reaktionen auf Pigmente handeln könnte, die sich entzündlich verändern und histologisch einer Lymphomstruktur ähneln. Sogenannte pseudolymphomatöse Reaktionen.
Wie Tattoo-Pigmente im Körper wirken, oder auch nicht
Dass Tattoo-Pigmente über das Lymphsystem verteilt werden, gilt nun inzwischen seit Ersterwähnung 1887 durch Monsieur G. Variot und Monsieur Henry Morau in Bulletins de la Société d’anthropologie de Paris (Seiten 730-736) als gesichert.
Wer noch nie einen bunten Lymphknoten gesehen hat, der googelt mal bitte nach Prof. Dr. Wolfgang Bäumler von der Uni Regensburg.
Untersuchungen, wie unter anderem die super Tat_BioV-Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung (Schreiver et al., 2017) zeigen zudem, dass Pigmentpartikel in Lymphknoten und Organen nachweisbar sind.
Leider können auch krebserregende Bestandteile wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) oder primäre aromatische Amine (paA) darin enthalten sein.
Ob diese Stoffe langfristig zu malignen (bösartigen) Veränderungen führen, bleibt im Tattoo-Bereich jedoch bisher unbewiesen. Möglich ist, dass sie eine dauerhafte Immunaktivierung auslösen könnten, deren Bedeutung bislang noch nicht verstanden ist.
Hierin liegt auch eine zentrale Herausforderung für die zukünftige Tattoo-Forschung.
Neue Regularien sollen die Sicherheit von Tätowierfarben erhöhen
Seit Anfang 2022 gilt in der Europäischen Union eine strenge Regulierung durch die European Chemicals Agency (ECHA). Unter der sogenannten REACH-Verordnung wurden Tausende potenziell gefährliche Chemikalien in Tätowierfarben verboten oder stark begrenzt.
Dazu zählen u.a. Pigmente, die aromatische Amine freisetzen können, Schwermetalle und bestimmte Konservierungsmittel.
Diese Maßnahmen sollen die Sicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich erhöhen. Ähnliches soll nun gerade auch in den USA im Zuge des MoCRA geschehen.
Dennoch weisen die Autoren in ihrem Artikel darauf hin, dass es international keine einheitlichen Standards für Tätowierfarben-Rezepturen gibt.
Dies sieht man teils noch heute in vielen anderen Ländern in denen Farben (don’t call it Tätowierfarbe, please) verwendet werden, deren Zusammensetzungen unklar oder unzureichend geprüft sind.
Mal ganz abgesehen davon, was weit vor REACH & MoCRA alles zum tätowieren verwendet wurde oder als Bastel-Farben, die man über einschlägige Online-Shops und Marketplaces für das DIY-Tattoo zu Hause erwerben kann.
Was Ärzte, Tätowierte und Forschende hieraus lernen können
Erinnern wir uns an die zahlreichen und mehr als gut geklickten Headlines, Postings und TV-Beiträge zum Thema Tattoo und Lymphom-Risiko, ist diese systematische Übersichtsarbeit von McConnell und Xu et al. für Tattoo-Trägerinnen und -Träger zunächst einmal beruhigend.
Nach aktuellem Stand besteht kein messbar erhöhtes Risiko, durch professionelle Tätowierfarben an einem Non-Hodgkin-Lymphom zu erkranken.
Ärztinnen und Ärzte sollten das hier auch gelesen haben und aufmerksam bleiben.
Veränderungen in Tattoos, etwa Knoten, Farbabweichungen oder chronische Entzündungen, ff. sollten histologisch untersucht werden (rausschneiden & gucken), um entzündliche Reaktionen von echten Tumoren zu unterscheiden.
Für Tattoo-Forschende ist diese Arbeit ein Aufruf, weiterhin die bestehenden Wissenslücken zu schließen. Vielleicht aber ein bisschen konservativer und mit weniger Lärm in der Presse.
Gefordert sind größere, standardisierte Untersuchungen über längere Zeiträume und über verschiedene Bevölkerungen hinweg. Nur so lässt sich langfristig beurteilen, ob bestimmte Tattoo-Pigmente oder chemische Komponenten Risiken bergen.
Und diese Untersuchungen finden als Beispiel seit einiger Zeit auch schon via Tattoo InK (D) , CRABAT (F) statt.
Fazit: Wissenschaftliche Klarheit statt unbegründete Angst
Die Tattoo-Forschung ist wichtig und notwendig. Die neue systematische Übersichtsarbeit von McConnell et al. bringt Licht in ein emotional als auch medial aufgeladenes Thema.
Nach aktuellem Forschungsstand gibt es keine Hinweise darauf, dass Tätowierungen das Risiko für Lymphome erhöhen.
Die Datenlage ist jedoch noch zu begrenzt, um endgültige Sicherheit zu geben.
Tätowierungen sind Ausdruck von Individualität und zugleich ein Thema, das Verantwortung und Aufklärung verlangt. Übrigens von allen Seiten – Tätowiererschaft, wie Medizin und Wissenschaft.
Wer sich tätowieren lassen möchte, sollte professionelle Artists in professionellen Tattoo-Studios aufsuchen, auf REACH-konforme Tätowierfarben achten und regelmäßige Hautkontrollen vom Arzt durchführen lassen.
Nicht aus Angst, sondern im klaren Bewusstsein darüber, dass gesunde Haut die beste Leinwand für langlebige Tätowierkunst ist.
Anmerkung:
Wir sind sehr gespannt darauf, welche Gazette und Sender seine Kanäle mit der Arbeit von McConnell et al. hier bespielen wird.

Ich habe tatsächlich sehr genau nachgelesen, wo die 1,21 herkommen und auch andere Studien angeschaut (u.a. McCarthy 25, Clemmensen 25), dazu auch Arbeiten zu Inflammation in Lymphknoten in Mausmodellen. Am liebsten wäre auch mir, wenn die künftigen Studien zum Ergebnis kämen, dass zumindest die neuen REACH Farben kein oder nur ein sehr geringes Risiko darstellen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine solche Aussage aber leider nicht wissenschaftlich fundiert möglich.
Es gibt – leider – durchaus plausible Argumente, dass Tattoofarben eine Risiko für Lymphome darstellen *könnten* (Nachweisbarkeit im Lymphknoten ist gut dokumentiert auch bei kleinen Tattoos, nachweisbare Entzündungsreaktion im Mausmodell ebenfalls, mehrere aktuelle Studien zeigen in dieselbe Richtung eines kleinen bis moderaten Risikos). Aber – wichtig – die Kausalität ist nach wie vor offen. Weiterhin: Die schwedische Studie basiert natürlich auf den alten Farben, der hoffentlich positive REACH Effekt ist da natürlich nicht zu sehen.
Bleibt also weiterer Forschungsbedarf. Denn sooo selten sind Lymphome leider auch nicht. Das Lebenszeit Basis-Risiko liegt etwa bei 1,5 – 2%. Sollte die 20%ige Erhöhung sich bestätigen UND kausal sein (wie gesagt: bislang nicht bestätigt), wäre das 1 Person aus 250-300, die während ihres Lebens wegen Tattoos an einem Lymphom erkrankt. Das wäre definitiv mehr als ein vernachlässigbares Risiko.
Hoffen wir, dass es bald Studien mit mehr Klarheit und auch positivem Ausgang gibt!
Lieber Mick,
danke Dir für Deinen erneuten Hinweis darauf, dass es weiterer Forschung bedarf. Das steht auch vollkommen außer Frage und wird an mehreren Stellen auch von uns betont.
Das 21% erhöhte Risiko an Lymphomkrebs aufgrund einer Tätowierung zu erkranken, bleibt sehr fragwürdig. Vor allen Dingen, wenn man sich in der Nielsen-Studie auch mal konkret anschaut, wann selbiges genau gegeben sein soll.
Mit Deiner Erwähnung „McCarthy (ist ein US-Politiker oder Schauspielerin) 2025/ Melanom“ meintest Du eventuell McCarty et al. 2024/ HL & NHL, oder?
Gerne hier mal direkt aus dem Studien-Paper zitiert:“ Wir konnten keinen Zusammenhang zwischen Tätowierungen und einem erhöhten Risiko für Hodgkin-Lymphome oder die meisten NHL-Subtypen feststellen; im Gegenteil, Tätowierungen und insbesondere solche, deren erste Tätowierung mindestens zehn Jahre zurücklag, waren mit einem verringerten Hodgkin-Lymphom-Risiko assoziiert.“
Was die REACH-konformen Tattoo-Farben und ihre gesundheitlichen Langzeiteffekte betrifft, so könnten adäquate Erkenntnisse zu Lymphomen hieraus für uns beiden eventuell knapp werden. Zumal ja vorrangig die ältere Generation daran erkrankt. Aber hier wird aktuell & konkret drauf geschaut!
Dein „Lebenszeit Basis-Risiko liegt etwa bei 1,5 – 2%“ sagt uns nichts und wir kennen den Begriff auch nicht.
Um hier aber mal Zahlen für Deutschland einfliessen zu lassen, möchten wir gerne die UK-Essen zitieren: „Lymphome zählen in Deutschland im Vergleich zu Organtumoren wie Brust- oder Darmkrebs zu den seltenen Krebserkrankungen.
Laut Angaben des Robert Koch Instituts wurde im Jahr 2019 in rund 2.500 Fällen Morbus Hodgkin diagnostiziert. Betroffen waren vor allem Männer und Frauen im jungen bis mittleren Erwachsenenalter; Kinder und Jugendliche erkranken vor allem zwischen dem zehnten und 15. Lebensjahr, ungefähr ein Viertel der Patientinnen und Patienten war älter als 60 Jahre. Das Risiko für eine Erkrankung liegt bei 0,2 (Frauen) bzw. 0,3 Prozent (Männer).
Bei Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) sind in der Regel Menschen ab etwa 70 Jahren betroffen. 2019 zählte das Robert Koch Institut deutschlandweit etwa 18.336 Personen, die an einem Non-Hodgkin-Lymphom erkrankt waren, davon deutlich mehr Männer (10.323) als Frauen. … Die Fünf-Jahres-Überlebensrate (bei NHL) liegt bei etwa 70 Prozent und damit deutlich besser als bei manchen soliden Tumoren.“
Ob hier je einer nachgeschaut hat, ob jemanden von denen tätowiert war, wissen wir leider nicht, obwohl es sicherlich einfach wäre.
Fakt ist, dass es aus unserer Sicht mehr als fragwürdig ist anhand von sehr dünnen internationalen Studien-Erkenntnissen der Tätowierung und somit seiner Pigment-Trägerin oder -Träger eine an %-Zahlen geknüpfte Lymphom-Risiko-Einschätzung unter die Nase zu reiben. Kausalitätslos btw.
Die Hazard Ratio, HR=1,21 aus Schweden besagt eigentlich nur eins: Tätowiere Dich häufiger und umfangreicher, dann sinkt das Risiko!
Beste Grüße
Lebenszeit-Basisrisiko: das Risiko, das statistisch gesehen jede(r) Einzelne hat, im Verlauf des Lebens am Lymphom zu erkranken (alle Formen). Dieses Risiko liegt im Bereich 1,5-2,0%, bei Männern etwas höher als bei Frauen. Dieses Basis-Risiko ist der Bezugspunkt, wenn von 20% erhöhtem Risiko gesprochen wird. Daraus lässt sich, gegeben es wäre ein Kausal-Zusammenhang, das Zusatzrisiko für Tätowierte errechnen, das wäre etwa 1 zusätzlicher Fall pro 250-300 Personen.
Du meinst sicherlich das „Lebenszeitrisiko“. Herbei kann die Epidemiologie berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sein könnte mindestens einmal im Leben eine bestimmte Krankheit zu erleiden.
Zum Thema Lymphom hatte ich die UK-Essen zitiert: „Das Risiko für eine Erkrankung liegt bei 0,2 (Frauen) bzw. 0,3 Prozent (Männer).“
Hierbei nun die HR=1,21 einfach auf das Lebenszeitrisiko einer generellen Lymphomerkrankung anzuwenden ist nicht korrekt. Und das bezieht sich nicht nur auf den Fakt, dass man die Schweden-Zahlen nicht einfach auf andere Länder übertragen darf.
Eine essenzielle Information aus der Schweden-Studie ist nämlich u.a., dass dieses erhöhte 21% Risiko an einem bösartigen Lymphomkrebs zu erkranken nur für den Zeitraum innerhalb der ersten 2 Jahre nach dem ersten Tattoostechen festgestellt wurde.
Dies auch nur bei eher kleineren Einzel-Motiven, bei denen es nicht auf die Größe oder Farbgebung & Intensität ankam.
Das Risiko bestand hingegen nicht, wenn man im Vorfeld schon eine Tätowierung hatte oder sich sogar größer dimensionierte Tattoo-Motive hat stechen lassen.
Man dürfte doch eigentlich erwarten, dass das Krankheitsrisiko mit zunehmender Tätowierfarbe in der Haut steigt?!
Dem ist aber laut Studien-Ergebnis in Schweden nicht der Fall. Auch nicht beim Zweit-Motiv, bei dem das 2-Jahres-Risiko ja eigentlich wieder von vorne hätte beginnen müssen.
Das Problem bei der ganzen Sache ist, dass die Schweden extrem viel nachjustieren mussten, um auf diese HR=1,21 zu kommen.
Dazu fehlt nicht nur die wichtige Kausalität, sondern ist die Zahl der möglicherweise betroffenen Kandidaten zu gering, die Erkenntnis nicht validiert und eher ein rein zufälliges Phänomen (Korrelation), dass ein Lymphtumor im Zuge (oder besser irgendwie im gleichen Zeitraum) eines Tattoos entstanden sein „könnte“. So haben wir es auch in unserem Blog-Beitrag zur Nielsen-Studie geschrieben.
Und mal Hand aufs Herz: Es ist weltweit nichts so gut, ausführlich und intensiv erforscht, wie irgendeine Krebserkrankung. Hippokrates hat gut 2.500 Jahre VOR Christi schon darüber geschrieben. Pigmente in Lymphknoten kennen wir seit 1887. Prof. Dr. Wolfgang Bäumler forscht an der UK-Regensburg seit über 20 Jahren an bunten Lymphknoten.
Bei geschätzt 540 Millionen Tattoo-Trägerinnen und Trägern in den Industrieländern (ohne PMU) müsste irgendwem doch irgendwann mal etwas zum Thema Tattoo- & Krebsrisiko aufgefallen sein, oder?
Ich halte die Arbeit für fragwürdig. Die kleineren Studien hatten gar nicht die statistische Power um einen Effekt der Größenordnung HR=1,21 zu detektieren. Die Studien werden aber mit der belastbaren Studie aus Schweden verrechnet und senken daher die Gesamt HR. Die schwedische Studie mag Schwächen haben, aber diese neuer Studie taugt aus meiner Sicht nicht für eine Entwarnung. Hierfür bräuchte es neue große Kohorten-Studien.
Hallo Mick,
danke Dir für Deinen wichtigen Kommentar und die Einschätzung zur Metaanalyse der bisher vorliegenden NHL-Studien.
Eine „Entwarnung“ stellt derweil wohl keine der vorliegenden Studien (USA, Kanada, Schweden & Dänemark) dar. Es nützt aber auch herzlich wenig, wenn man unsere bunte Welt mit ein paar knackigen Headlines in Panik versetzt.
Wenn man dazu alle 4 Papers und ihre Einschränkungen und Diskussionen gelesen hat, versteht man nicht nur auch die Hürden der „explorativen systemischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse“, auf die McConnel und Xu et al. selbst hingewiesen haben, sondern weiß, dass eine Variabilität in der Klassifizierung histologischer NHL-Subtypen zwischen den Studien besteht.
Nielsen et al., die Du hier mit dem HR=1,21 zitierst, waren derweil nicht nur die einzigen, die in ihrer Studie Subtypen klassifizierten, sondern auch das Schwergewicht unter den Papers.
„Ohne Transparenz darüber, welche Subtypen wie in den anderen Studien klassifiziert wurden, könnte dies die Genauigkeit sowohl der gepoolten Analyse als auch direkter Vergleiche zwischen den Publikationen beeinträchtigen.“, wie McConnel und Xu et al. selbst schreiben.
Aber lies bitte mal dringend nach, worauf der HR=1,21 genau basiert: https://doc-tattooentfernung.com/taetowierungen-als-risikofaktor-fuer-lymphomkrebs/
Das Problem ist zudem, dass bis dato nicht genügend qualifizierte Studien vorliegen, warum UK sich auch dazu entschieden hatte einzelne Fallberichte von Kluger et al. und selbst von Sangueza et al. von „1992“ mit zu analysieren.
Die großen Kohorten – wie im Beitrag auch erwähnt – laufen derweil. Erste Zahlen zu Krebserkrankungen sollen u.E.n. 2028 (?!) kommen.
Viele Grüße