Eine Studie von Signe Bedsted Clemmensen et al. mit dem Titel „Kontakt mit Tätowierfarbe wird mit Lymphomen und Hautkrebs in Verbindung gebracht – eine dänische Zwillingsstudie“ untersuchte, ob es einen Zusammenhang zwischen Tätowierungen und dem Risiko, bestimmte Krebsarten zu entwickeln, gibt.
Durchgeführt wurde die Arbeit von der Forscher-Gruppe rund um Signe, in der Abteilung für Epidemiologie, Biostatistik und Biodemografie am Institut für öffentliche Gesundheit der University of Southern Denmark in Odense (Dänemark).
Hintergrund der dänischen Zwillingsstudie:
Dass Tätowierungen in den letzten Jahrzehnten immer beliebter geworden sind, dürfte mittlerweile auch der blasseste aller Blassen mitbekommen haben.
Dass sich Tattoo-Pigmente unter anderem in regionalen Lymphknoten ansammeln können, weiß man nun schon seit 1887. Siehe Monsieur G. Variot und Monsieur Henry Morau und ihre Ersterwähnung in Bulletins de la Société d’anthropologie de Paris (Seiten 730-736). Diese Info könnte sich der ein oder andere Skalpell-Cowboy auch mal abspeichern.
Nun vermutete das dänische Forscher-Team, dass dies nach 138 Jahren zu chronischen Entzündungen führen könnte, was das Risiko für abnormale Zellproliferation (schnelles Wachstum, Wucherung, Vermehrung) und dabei insbesondere Hautkrebs und Lymphome erhöhen könnte.
Tattoo ink exposure is associated with lymphoma and skin cancers – a Danish study of twins
Quelle: Clemmensen SB, Mengel-From J, Kaprio J, Frederiksen H, von Bornemann Hjelmborg J. Tattoo ink exposure is associated with lymphoma and skin cancers – a Danish study of twins. BMC Public Health. 2025 Jan 15;25(1):170. doi: 10.1186/s12889-025-21413-3. PMID: 39819495; PMCID: PMC11736920.
Methodik der Zwillingsstudie:
Die Forscher verwendeten für ihre Danish Twin Tattoo Cohort (DTTC) zwei unterschiedliche Studiendesigns, also eigentlich gleich zwei Studien:
- Kohorten-Studie: Es wurden Daten von 2.367 zufällig ausgewählten mindesten 20 Jahre alten dänischen Zwillingen untersucht (wieso ist das eigentlich eine ungerade Teilnehmerzahl??). Informationen über Tätowierungen wurden durch eine Umfrage im Jahr 2021 erhoben, und Krebsdiagnosen wurden aus dem dänischen Krebsregister (DTR) entnommen.
- Fall-Kontroll-Studie (Fall-Co-Twin): Hierbei wurden 316 Zwillinge, geboren zwischen 1960 und 1996, analysiert. Auch hier wurden Daten zu Tätowierungen und Krebsdiagnosen, ähnlich wie in der zuvor beschriebenen Kohorten-Studie, erhoben.
Ergebnisse der Zwillingsstudie:
- Fall-Kontroll-Studie: Individuelle Analysen zeigten ein 1,62-fach höheres Risiko für Hautkrebs (ausgenommen Basalzellkarzinom) beim tätowierten Zwilling im Vergleich zu seinem nicht tätowierten Zwilling. In Analysen von 14 Zwillingspaaren, bei denen nur ein Zwilling tätowiert war und Hautkrebs entwickelte, ergab sich ein Hazard Ratio (HR/ größer als 1 ist i.d.R. nicht schön) von 1,33.
- Größe der Tätowierungen: Bei Tätowierungen, die größer als eine Handfläche waren, wurde ein erhöhtes Risiko für Hautkrebs (HR = 2,37) und Lymphome (HR = 2,73) festgestellt.
- Kohorten-Studie: Hier ergab die individuelle Analyse ein 3,91-fach höheres Risiko für Hautkrebs und ein 2,83-fach höheres Risiko für Basalzellkarzinome bei tätowierten Personen.
Kritische Betrachtung:
Obwohl die Studie Hinweise auf ein mögliches erhöhtes Krebsrisiko bei tätowierten Zwillingen liefert, gibt es mehrere Aspekte, die die Aussagekraft der Ergebnisse einschränken könnten.
Dabei ist aus unserer Sicht zu beachten, dass der eigene Textteil zur Diskussion länger scheint als alles andere der Studie:
- Stichprobengröße: Die Anzahl der untersuchten Personen, insbesondere in der Fall-Kontroll-Studie mit 316 Zwillingen, ist ziemlich klein. Eine größere Stichprobe wäre notwendig, um robustere Schlussfolgerungen ziehen zu können.
- Selbstberichtete Daten: Informationen über Tätowierungen wurden durch Umfragen erhoben, was zu Erinnerungsfehlern oder sozial erwünschten Antworten führen kann.
- Unterschiedliche Ergebnisse: Die unterschiedlichen Hazard Ratios zwischen individueller Analyse und Zwillingspaar-Analyse könnten auf unerkannte Störfaktoren hinweisen.
- Mangel an biologischen Mechanismen: Die Studie stellt Hypothesen über die Rolle von Tätowierfarbe bei der Krebsentstehung auf. Sie liefert jedoch keine direkten biologischen Beweise für diesen Zusammenhang.
- Generalisierbarkeit: Da die Studie in Dänemark stattfand, können die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf andere Populationen mit unterschiedlichen Tattoo-Praktiken und Tätowierfarben übertragen werden.
- Mangel an Daten: Es wurden keine Daten erhoben, welche spezifischen Tätowier-Arten (Tattoo oder PMU), -Farben oder deren Inhaltsstoffe verwendet wurden.
Anmerkungen vom Experten
Dr. Nicolas Kluger – er ist u.a. Chairman der European Academy of Dermatology and Venerology (EADV) Taskforce „Tattoo and Body Art“ – hat auf seinem Instagram-Kanal https://www.instagram.com/the_tattooed_derm/ (er sagt 4 aber eigentlich sind es sogar) 5 wirklich relevante Red-Flags zur Zwillings-Studie erläutert.
🚩 1.: Der Kanal, über den die Studie ihre Veröffentlicht fand, ist ein „Open Access Journal“, für den man als Einreicher seines Artikels üblicher Weise selbst bezahlen muss. Hierbei gilt es unbedingt zusätzlich zu berücksichtigen, dass das sogenannte „Peer Review“ (Bewertung einer wissenschaftlichen Arbeit durch unabhängige Gutachter bzw. Wissenschaftler des selben Fachgebiets zur Qualitätssicherung) eher schlechterer Qualität ist.
🚩 2.: Wenn man das mögliche erhöhte Risiko aufgrund einer Tätowierung an Hautkrebs (neben Lymphdrüsenkrebs) zu erkranken untersucht, dann ist die Verortung des Krankheitsbildes von eklatanter Bedeutung. Soll heißen, wenn sich ein Tattoo an der rechten Schulter befindet und man Hautkrebs am linken Unterschenkel diagnostiziert, dann ist ein Zusammenhang nicht wirklich erbracht. Die Studie müsste also zeigen, dass Hautkrebs in, an oder auf einer Tätowierung einstanden ist.
🚩 3.: Das Forscher-Team hat wohl anscheinend vergessen in ihren Befragungen auf den Punkt „Sonnen-Exposition“ der Betroffenen einzugehen. Bei einer Studie über Hautkrebs kann man das aber logischer Weise keines Falls ausser acht lassen. Dr. Kluger formuliert es so, als würde man eine Studie über Lungenkrebs machen, ohne nach dem Rauchverhalten zu fragen. Lustiger Weise fragte man eben dieses in der Zwillingsstudie mit ab.
🚩 4.: In der Studie wurden zudem Daten über melanozytären und nichtmelanozytären Hautkrebs (kurz: (MSC/NMSC) zusammengeführt. Dies wird in Studien auf gar keinen Fall gemacht. Es sind nicht nur völlig verschiedene Krebsarten mit unterschiedlichen Risikofaktoren, und unterschiedlichen genetischen Faktoren. Sie sind auch mit unterschiedlichem Background und Prognosen verbunden.
🚩 5.: Das Forscher-Team lässt nach Finden von Lymphomen leider auch außer acht, dass es 50+ unterschiedliche Arten von Lymphomen gibt und beschreibt den genauen Befund leider nicht in der Studie. Das Minimum, so Dr. Kluger, sei die Unterscheidung zwischen Hodgkin-Lymphom und Non-Hodgkin-Lymphom. FUN-FACT: Ähnliches wurde bereits vor Jahren anhand einer Studie in der University of Columbia in Kanada untersucht. Sie konnten diesbezüglich nichts im Zusammenhang mit Tätowierungen bzw. Tattoo-Pigmenten finden.
FAZIT der dänischen Zwillingsstudie:
Diese dänische Zwillingsstudie ist bereits die dritte Studie über ein kostenpflichtiges Open-Access Journal, die innerhalb von wenigen Monaten auf ein mögliches erhöhtes Risiko von Hautkrebs und Lymphomen bei tätowierten Personen hinweisen möchte (Schweden, Utah und jetzt Dänemark).
Aber auch hier betonen die Forscher selbst wiederholt, dass aufgrund der genannten Einschränkungen weitere, umfangreichere Tattoo-Studien erforderlich sind, um diesen Zusammenhang eindeutig zu bestätigen und die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen besser zu verstehen.
Hallo, danke für eure Einordnung der Studie hier.
Ich frage mich nur gerade, warum solche halbseidenen Studien mit dramatischen Überschriften in die Öffentlichkeit gepresst werden zu scheinen? Die Volkskrankheit Krebs ist doch nun seit JAhrzehnten eines der am besten erforschten Themen weltweit und mit den allerbesten Daten von millionnen von Betroffenen ausgestattet. Am Tattoo selbst wird ebenfalls seit Jahrzehnten geforscht. Witziger Weise an vielen Stellen auch noch von den gleichen Leuten. Wenn man es mal auf den Hautkrebs beschränken möchte. Welchen Sinn ergibt das ein Thema zu triggern, was offensichtlich bisher nicht so wirklich besteht und auch noch dafür zu bezahlen, dass irgendwelche Studienergebnisse für knallige Artkel-Überschriften herhalten können. Mehr als nur Sorge um meine Gesundheit wegen 2 Tattoos am Arm macht das im AUgenblick jedenfalls nicht bei mir. Wo ist denn da die Aufklärung? Ja, wir haben Krebs bei Tätowierten gefunden und ja den gibts auch bei nicht Tätowierten aber das Tattoo soll Schuld sein. Sorry! Nervig!
Hallo Ingo,
danke Dir, dass Du unseren Beitrag zur Dänen-Studie gelesen und so umfangreich kommentiert hast. Wir wissen das sehr zu schätzen.
Dass Dich das Thema Tattoo & Krebs im Resultat „triggert“, verstehen wir natürlich sehr gut. Vor allen Dingen, wenn im Resultat der Dänen- oder auch der Schweden-Studie Newspaper-Headlines oder auch TV-Beiträge kreiert werden, die genau das fördern. Unser Telefon füllt sich aufgrund dessen leider vermehrt mit besorgten Tattoo-Trägerinnen und -Trägern, die nun um ihre Gesundheit bangen.
Was sollen wir sagen? Lustig ist das wirklich nicht! Nicht nur, weil es unsere bunten Kunden psychisch belastet, sondern weil es auch großen Einfluss auf das geschäftliche Dasein unserer Tätowierer-Bubble nimmt. Wer möchte sich schon mit einer Tätowierung oder einem Permanent Make-up belohnen, deren bunten Inhaltsstoffe angeblich Krebs auslösen könnten??
Warum das so gemacht wird, wie es aktuell gemacht wird, könnten wir hier nur mutmaßen und das lassen wir mal lieber. Wir möchten aber gerne die Gelegenheit nutzen und darauf aufmerksam machen, dass es wichtig ist, sich umfangreich zu informieren und zum Beispiel Social Media Accounts, wie von Dr. Nicolas Kluger https://www.instagram.com/the_tattooed_derm/ zu folgen.
Unsere Europäische Forschungsgruppe die European Society of Tattoo and Pigment Research wäre dazu auch zu nennen https://www.instagram.com/estp_tattoo_research/
Seine Fragen kann man dazu auch gerne an den Bundesverband Tattoo e.V. richten https://bundesverband-tattoo.de/
Und uns darf man natürlich auch weiterhin fragen. Wir stehen hier übrigens alle miteinander in stetigem Kontakt. Was wir als Netzwerk DocTattooentfernung nicht wissen, wissen diejenigen, mit denen wir zusammenarbeiten dürfen.
Viele Grüße