Wie kam es zum EU-weiten Tätowiermittel-Verbot?

Wie kam es zum EU-weiten Tätowiermittel-Verbot?
Info Tätowierfarben

Ein kurzer Überblick und Quellen, wie die Tattoo-REACH-Verordnung mit ihrem EU-weiten Tätowiermittel-Verbot entstanden ist. Und dessen möglichen aktuellen Konsequenzen für die Tattoo-Industrie.

Grundlage für das Tätowiermittel-Verbot war von 2014 bis 2016 die Vorgabe innerhalb der Europäischen Union, nach Hinweisen auf Schadstoffe in Tätowierfarben oder Permanent Make-up zu suchen.

Diesbezüglich schrieb das Joint Research Centre (JRC) in seinem finalen Science for Policy Report im August 2016 unter anderem (Zitat):

(…) Gute Herstellungspraktiken für die Herstellung von Tätowier-/PMU-Tinten und Richtlinien für ihre Risikobewertung sollten entwickelt werden. Eine vollständige Risikobewertung der Inhaltsstoffe, insbesondere der in Tattoo-/PMU-Tinten verwendeten Farbstoffe, ist erforderlich, einschließlich ihrer Phototoxizität, ihres Absorptionsgrades, ihrer Verteilung, ihres Metabolismus und ihrer Ausscheidung sowie des abgeleiteten DerivedNo-Effect-Levels (DNEL), Daten, die bisher weitgehend fehlten. Darüber hinaus muss bewertet werden, ob die Risiken, die sich aus der Verwendung bestimmter Chemikalien in Tätowier-/PMU-Farben ergeben, angemessen kontrolliert werden oder durch eine EU-Maßnahme angegangen werden müssen. (…) 

Quelle: JRC-Veröffentlichung Volltext https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC101601

Jahre der Forschung für nix!

Nach zwei Jahren der Forschung rund um die Sicherheit von Tätowierungen, beschloss die Europäische Kommission seinerzeit leider, den JRC Empfehlungen von 2016 nicht zu folgen und eine eigenständige europaweite Gesetzgebung für Tätowierfarben und Permanent Make-up einzuführen. Anstatt auf die JRC Empfehlung zu hören, beauftragte die Europäische Kommission die Europäische Chemikalien Agentur (ECHA) mit der Ausarbeitung einer Beschränkung im Rahmen der sogenannten REACH-Verordnung, die seit 2007 bereits in Kraft war.

Es sollte hierbei klar werden, dass sich bereits von 2014 an rund 100 Experten unterschiedlicher Fachbereiche mit der Analyse und Erforschung von Tätowierfarben und ihren möglichen gesundheitlichen Auswirkungen beschäftigt haben. Hierüber wurden in vier Berichten alle Unsicherheiten, Vorbehalte, das Fehlen von soliden Erkenntnissen und Beweisen ausführlich beschrieben und an die EU-Kommission geschickt.

Diese Berichte wurden auf bürokratischer und politischer Ebene von der EU zerschlagen und mit eigenen Berichten an die hauseigene ECHA übergeben. Und hier muss man erwähnen, dass vor allen Dingen theoretische Regelmacher mit ihrer persönlichen und nicht-fachlichen Meinung und Annahme in der EU dafür gesorgt haben, dass so etwas überhaupt passieren kann.      

Was nicht gut für auf der Haut ist, ist auch nicht gut für in der Haut!

Die ECHA hat es sich mit ihrer REACH-Verordnung dann sehr einfach gemacht. Vieles wurde aus der bereits bestehenden Kosmetikmittel-Verordnung übernommen und auf Tätowierfarben angewendet. „Was nicht gut für auf der Haut ist, ist auch nicht gut für in der Haut!“ war hierbei das Credo! Dabei wird in der REACH ein Verbot von in Summe 4000 Stoffen veranschlagt, wovon 1800 von Relevanz für die Tätowierfarben sind.

Dazu gilt es zu berücksichtigen, dass nicht nur internationale Forschungsgruppen, wie die European Society of Tattoo and Pigment Research (ESTP) in Dänemark, sondern auch internationale Tätowierfarben-Hersteller, Tätowierer als auch viele ihrer Kunden eine EU-weite Regelung für Tätowierfarben seit Jahren befürworten. Stoffe mit wissenschaftlich nachgewiesenen gesundheitlichen Auswirkungen sollten in Tätowierfarben nicht enthalten sein. Oder sie werden auf eine Konzentration begrenzt, die nach fundierten Risikobewertungen nicht gesundheitsschädlich ist. Diese Werte sollten zudem auch technisch in den Formulierungen der Tätowierfarben realisierbar sein.

Wer will das nicht? Gesunde Tätowierfarben!!

Hierzu ist noch wichtig zu wissen, dass es bereits Regelungen in Bezug auf die Herstellung von Tätowierfarben gab und gibt. Seit 2003 und 2008 besteht nicht nur in Deutschland, sondern in 6 weiteren Europäischen Ländern eine Tätowiermittelverordnung (ResAP2003 und ResAP2008). Also ein Regelwerk für eine Marktüberwachung und zudem das Schnellwarnsystem RAPEX, für Stoffe, die in Tätowierfarben nicht enthalten sein dürfen.  

Eigenständige Gesetzgebungen wurden von verschiedenen Seiten gefordert. Während einer öffentlichen Anhörung zu den Nachteilen der REACH-Beschränkung für Stoffe in Tätowier- und Permanent-Make-up Farben wurde ausführlich kommentiert. Unter anderem von der ESTP. Einige der wichtigsten Punkte, wie die zweifelhafte Legitimität der Beschränkung, wurden von der ECHA leider wieder einmal nicht berücksichtigt.

Während der öffentlichen Stellungnahmefrist zur Beschränkung erklärte die ESTP im Februar 2019, es sei (Zitat) „fraglich, ob die Anhänge II und IV [der Kosmetikrichtlinie] rechtmäßig in ein REACH-Beschränkungsdossier aufgenommen werden können.“ Die Verknüpfung mit diesen Anhängen ist der Grund für das höchst umstrittene Verbot der Pigmente Blue 15 & Green 7, das ab Januar 2023 gelten wird. Aktuell stehen den Tätowierfarben-Herstellern hierzu keine vergleichbaren alternative Pigmente zur Verfügung.

Quelle ESTP-Kommentar in voller Länge: https://estpresearch.org/fileadmin/ESTP/Publications/ESTP_comment

Darüber hinaus schrieb die ESTP einen offenen Brief an den EU-Ombudsmann und andere Interessenvertreter der EG: https://estpresearch.org/index.php?id=9404

Am 14.12.2020 wurden EU-weite Grenzwerte für Schadstoffe in Tattoofarben verabschiedet

Quelle: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eu-weite-grenzwerte-fur-gefahrliche-stoffe-tattoo-farben-beschlossen-2020-12-14_de

Die Tattoo-REACH-Verordnung trat 2020 also erstmalig in Kraft. Allerdings wurde den Tätowierfarben-Herstellern eine Übergangfrist von 2 Jahren bis zum 04.01.2022 (für Pigment blau & grün bis 2023) eingeräumt, um neue Formulierungen für ihre Produkte zu finden.  

Passiert ist seitens der Tattoo-Industrie offenbar zu wenig! Das liegt aber nicht allein an den internationalen Herstellern, die nicht nur mit Lieferengpässen und komplett zerstörten Lieferketten zu kämpfen hatten, sondern auch mit einer Pandemie, Lockdowns und neuen Mess- und Analyseverfahren, die für eine Prüfung nach REACH-Grenzwertvorgaben geeignet sein müssen. Bis heute kann nicht jedes Land oder jedes Prüf-Labor nach diesen REACH-Vorgaben prüfen. Das wird auch in Zukunft bei den Kontrollen der REACH-Konformität ein Problem darstellen. Aber das sei hier nur angemerkt.

Was sind die möglichen derzeitigen Konsequenzen aus der seit Anfang 2022 vollständig in Kraft getretenen REACH-Regulierung?

Die EU-Kommission und die ECHA wurden von vielen Seiten – Tätowierern, Tattoo-Verbänden, nationalen Behörden und der internationalen Forschungsgruppe – immer wieder darauf hingewiesen, dass die REACH-Verordnung in ihrer jetzigen Art und Form gegen einen adäquaten Verbraucherschutz steht und eine Branche indirekt nicht nur arbeitslos machen, sondern vor allen Dingen kriminalisieren könnte.

Derzeit können Restbestände von ResAP zugelassenen Tätowierfarben in Tattoo-Studios nicht mehr legal aufgebraucht werden. Eine verlängerte Verwendungsfrist für diese Lager-Bestände wäre aber vor allen Dingen gerade nach den Lockdown-Phasen dringend notwendig gewesen. Keine Branche ist so lange und vehement von der Regierung übergangen und geschlossen worden, wie die Tattoo-Studios. Derweil gibt es aktuell noch keine bunten und nur vereinzelt schwarze Alternativen für REACH-konforme Tätowierfarben auf dem europäischen Markt gibt.

Wenn Tattoo-Studios der Nachfrage ihrer Kundschaft nach bunten Tätowierungen nicht mehr nachkommen können, werden diese möglicherweise auf illegale Wege ausweichen. Oder sogar eher dazu neigen, sich Keller- oder Urlaubs-Tattoos in einem außereuropäischen Land stechen lassen. Das steigert Gesundheitsrisiken und fördert möglicher Weise unsichere Tätowier-Praktiken bis hin zu privaten Angeboten in Form von DIY-Tattoos zu Hause.

Welche möglichen derzeitigen Konsequenzen hat die REACH-Verordnung für die Tätowierfarben-Hersteller??

Die REACH-Verordnung beinhaltet neben Verboten zur Verwendung bestimmter Inhaltsstoffe vor allen Dingen extrem strenge Grenzwerte für bestimmte Stoffe. Die REACH-Verordnung gilt heute als strengste Chemikalien-Gesetzgebung der Welt.  Als Beispiel wäre hier unter anderem Formaldehyd zu nennen. Als Resultat müssen fast alle Hersteller ihre Tätowierfarben-Rezepturen mit anderen Inhaltsstoffen neu formulieren.

Dadurch ist nicht nur die Qualität und Leistungsfähigkeit von Tätowierfarben wie Anwendung, Verarbeitung, Farbbrillanz, Lichtbeständigkeit und Echtheit unbekannt. Auch kennt man mögliche gesundheitliche Auswirkungen, wie allergische Reaktionen noch nicht.

Diese Neuformulierungen sind bisweilen schlicht und ergreifend ungetestet und müssen in Zukunft am Menschen ausprobiert werden.. Solche Laborkontrollen verschenkt man nicht – ganz im Gegenteil!

Hinzukommen von der EU getriebene Investitionsforderungen an die Tätowierfarben-Hersteller. Nicht nur die Neuformulierungen von Tätowierfarben sind mit finanziellem Aufwand verbunden. Es muss gemixt, geprüft und gegebenenfalls nachjustiert und wieder geprüft werden. Auch Prüf-Labore müssen sich den neuen REACH-Vorgaben anpassen und in neues Equipment investieren. Dazu kommen kostspielige Zulassungsverfahren und von Restbeständen bereits nach ResAP 2008/1 produzierter Tätowierfarben und deren Entsorgungskosten gar nicht zu sprechen.

Welche möglichen derzeitigen Konsequenzen hat die REACH-Verordnung für die Tätowierer?

Die REACH-Verordnung in ihrer aktuellen Fassung, ist ein immenses Problem für die Tätowierbranche. Bestehende Versorgungslücken und nicht adäquate, aber REACH-konforme Tätowierfarben machen Tätowierern das Leben schwer. Die ständige Kundennachfrage nach bunten Tattoos führt eine ganze Branche geradewegs in die Illegalität. Und ehrlich gesagt kann man die Tätowierer nach dem Corona-Lockdown und der miserablen wirtschaftlichen Unterstützung durch die Regierung auch verstehen. 

Zumal die REACH-Verordnung größtenteils auf Annahmen und Behauptungen basiert, dass eine Gefahr von Allergien, Ekzemen und/oder Krebs durch das Verbot der 1800 Stoffe nun ausgeschlossen sei. Hinzukommt, dass EU-Politiker behaupten, es gäbe bereits bunte und REACH-konforme Alternativen auf dem Markt. Dem ist nachweislich – Stand heute – nicht so!!

Getoppt wird durch die EU und ihre REACH-Verordnung nur noch, dass sich viele Tattoo-Trägerinnen und Tattoo-Träger seither vermehrt die Frage stellen, ob ihre bereits vorhandenen Tätowierungen gesundheitliche Folgen haben könnten. Das sorgt für einen beängstigend steigenden Anstieg von Telefonkontakten für Tätowierer und Tattoo-Studios.

Tätowierer und Tätowierte wehren sich auf EU-Ebene gegen die REACH-Verordnung und sind damit nicht alleine.

Nicht nur in Deutschland haben sich eine große Zahl von Tätowierern und Tattoo-Begeisterten mit einer Petition www.tattoofarbenretten.info bei der Bundesregierung lautstark zu Wort gemeldet.

Auch die darauffolgende EU-Petition www.savethepigments.com von Österreich initialisiert, hat ein Zeichen gesetzt. Jedenfalls könnte man das meinen!! Aber ehrlich gesprochen, haben beide Petitionen bei den Regierungsverantwortlichen anscheinend so viel Eindruck hinterlassen, wie ein fließender Tropfen blauer Tätowierfarbe auf einem blauen Sneaker.

Aus diesem Grund haben sich die Initiatoren von Save-the-Pigments mit einem Deutschen Tattoo und Piercing Supply zusammengeschlossen und ein mit einigen Europäischen Tätowierer-Verbänden gemeinsam finanziertes Rechtsgutachten bei einer renommierten EU-Kanzlei in Auftrag gegeben. Dieses Rechtsgutachten bestätigt, was viele bereist in ihren Stellungnahmen und Vorbehalten an die EU-Kommission und ECHA formuliert hatten.  

Was nach dem Inkrafttreten der REACH-Verordnung am 4. Januar 2022 mit der Tattoo-Branche und ihren Kunden passiert, wissen wir leider noch nicht.

Das Ziel einer verlängerten Übergangsfrist in der REACH-Verordnung und eine Lösung der Pigment-Blau-Grün-Problematik ab 2023 und darüber hinaus, bleiben jedenfalls bestehen.