Die Frage, ob Tätowieren als „Injektion“ bezeichnet werden darf, ist nicht nur sprachlich interessant, sondern hat handfeste regulatorische Folgen. Ein aktueller wissenschaftlicher Artikel von John Swierk und seinem Autoren-Team in Acta BioMaterialia untersucht die Mechanik der Farbplatzierung bei Tattoos und grenzt sie systematisch von klassischen Injektionen ab.
Im Zentrum steht die Frage, ob die U.S. Food & Drug Administration (FDA) mit ihrer jüngsten Definition, Tätowieren als „Injection Process“ einzuordnen, den Vorgang korrekt beschreibt, oder ob diese Terminologie in die Irre führt.
Wer den Review Article von Dr. John Swierk (Department für Chemie, Binghamton University, State University of New York, Binghamton, NY, USA) et al. gerne mal lesen möchte, findet ihn hier:
Ist Tätowieren eine Injektion? Bewertung der Mechanik der Tintenplatzierung.
Noble S, Moseman K, Medina S, German GK, Swierk J. Is Tattooing an Injection? Evaluating the Mechanics of Ink Placement. Acta BioMaterialia. 2025 Aug 29:S1742-7061(25)00645-2.
DOI: 10.1016/j.actbio.2025.08.055. Epub ahead of print. PMID: 40886969.
Historisch und in Natura betrachtet war und ist eine Tätowierung stets ein Verfahren, bei dem man die Haut mechanisch öffnet und Farb-Pigmente via Stichen, Schnitten, Fäden oder einfach mit der Hand in die Dermis (mittlere Hautschicht) einbringt. Übrigens schon seit Jahrtausenden!
Äußerlich anmalen, aufkleben oder färben ist keine Tätowierung
Moderne Tätowiermaschinen nutzen gebündelte, solide Nadeln, die die Haut hunderte Male pro Sekunde punktieren. Im Gegensatz zu einer Injektion wird die Tätowierfarbe dabei jedoch nicht aktiv in das Gewebe punktiert bzw. gedrückt oder gespritzt, warum wir hier auch lieber Perforieren als Punktieren als Begriff wählen würden.
Stattdessen entsteht beim Herausziehen der Nadeln ein Kapillareffekt. Die Tätowierfarbe wird dabei also passiv durch die kleinen Einstich-Kanäle in die Haut eingesogen und beim Nadelhub (zurück aus der Haut) zudem vom Hautgewebe innerlich abgestreift und festgehalten.
The Slow Mo Guys haben dazu mal ein wirklich sehenswertes Video gemacht:
Dieser Prozess wird in der Fachsprache als Capillary Imbibition bezeichnet. Das ist ein entscheidender Unterschied zur klassischen Injektion, bei der man Flüssigkeit mit Druck durch eine Hohlnadel (Kanüle) in das Gewebe oder die Vene einbringt.
Dabei entstehen durch den Flüssigkeitsdruck feine Risse, die das Medikament im Körper und Gewebe verteilen. Tätowierungen dagegen beruhen auf einer Serie von Mikrowunden, in die Tätowierfarbe einströmt und Pigmente von Makrophagen (Fresszellen) eingeschlossen werden.
Die Stabilität des Tattoos ergibt sich also aus dem Zusammenspiel von Pigmentpartikeln, Immunreaktion und Narbenbildung und nicht aus einer aktiven Flüssigkeits-Injektion. Ansonsten gäbe es hier wohl auch nur bunte Suppe in der Haut, anstelle von permanenten Fineline- oder Realistic-Tattoos & Co..
Die Unterscheidung ist keineswegs nur akademisch. Im Gegenteil!
Mit dem Inkrafttreten des US-amerikanischen Modernization of Cosmetics Regulation Act (MoCRA) wird die Regulierung von Tätowierfarben auch auf der anderen Seite des Atlantiks gerade neu geordnet.
Sollte Tätowieren rechtlich also als „Injektion“ gewertet werden, könnten Tätowierfarben ähnlich streng behandelt werden wie medizinische Implantate oder Dermal Filler und dergleichen.
Das hätte weitreichende Konsequenzen für die US-amerikanische Tattoo- und Kosmetik-Branche, da für jede neue Tätowierfarbe aufwendige klinische Studien, ähnlich einer Arzneimittel-Zulassung, vorgeschrieben wären. Das staunt selbst die EU Tattoo-REACH.
Der Artikel von Dr. John Swierk (Gründer der Swierk-Research-Group und Initiator von What’s in my Ink) und seinem Autoren-Team zeigt jedoch klar, dass Tätowieren mechanisch nicht in diese Kategorie gehört. Der zutreffendere Begriff lautet hier also „intradermale Deposition“ (Ablagerung von Stoffen in der Dermis).
Spannend ist auch der Blick in medizinische und technologische Grenzbereiche
Während Tätowierungen traditionell dekorativen Charakter haben, kommen sie längst auch im medizinischen Kontext zum Einsatz. Etwa in der Plastisch-Ästhetischen und Rekonstruktiven Chirurgie, der Onkologie oder der Endoskopie. Der Bereich des sogenannten Medical Tattooing ist mittlerweile weit umspannend.
Gleichzeitig wird weltweit auch noch an „smarten Tattoos“ geforscht, die als Biosensoren oder für die gezielte Medikamentenabgabe dienen können. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen künstlerischem Tattoo, medizinischer Anwendung und biotechnologischer Innovation.
Aber, wie schon erwähnt, nicht alles ist ein Tattoo, nur weil es so genannt wird.
Das Fazit der Arbeit von Dr. John Swierk und Co. ist eindeutig:
Tätowieren ist kein Injektionsverfahren, sondern eine eigenständige Methode, bei der Pigmente durch wiederholte Hautpunktion in die Dermis gelangen.
Für die wissenschaftliche Diskussion und die regulatorische Einordnung ist es daher essenziell, präzise zu formulieren. Nur mit der richtigen Terminologie lassen sich Fehlinterpretationen und unnötige regulatorische Hürden vermeiden.