Harmful Beauty: Neue Studie zu Tätowierfarben belegt systemische Aufnahme von Phthalaten

Harmful Beauty: Neue Studie zu Tätowierfarben belegt systemische Aufnahme von Phthalaten

Tätowierfarben in der Haut sind längst mehr als nur Körperschmuck. Tätowierungen oder auch Permanent Make-up sind Ausdruck von Identität, Erinnerung, Protest, Ästhetik oder einfach nur Spaß.

Doch was viele nicht wissen, ist, dass mit jeder Tätowierung auch chemische Substanzen in die Haut und den Körper gelangen, die dort nicht unbedingt bleiben.

Eine neue Studie unter dem Titel „Harmful Beauty – Temporal Profile of Urinary Phthalate Metabolites following Tattooing“ aus der Slowakai zeigt erstmals, dass bestimmte Weichmacher aus Tätowierfarben bereits kurz nach dem Stechen im Urin nachweisbar sind.

Zusammen mit der 1. Bioverfügbarkeitsstudie Tat_BioV vom Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) Berlin ergibt sich ein nicht ganz harmloses Bild. Tätowierungen sind nicht nur Haut-spezifisch, sondern beeinflussen den gesamten Körper.

Diese beiden Studien liefern nun erstmals umfassendere Antworten mit der guten Nachricht vorweg: Viele Effekte lassen sich jetzt effektiver messen, besser verstehen und konkreter einordnen.

Phthalate sind sogenannte Weichmacher, die Kunststoffe geschmeidig und flexibel machen. Bekannt aus Kinder- und Erwachsenenspielzeug, Kosmetika, Medizinprodukten oder Lebensmittelverpackungen und vielem mehr.

In Tätowierfarben dienen sie vor allen Dingen als Lösungsmittel und Trägerstoff, um die Pigmente in einer Flüssigkeit (Suspension) zu halten.

Einige Phthalate, wie Diethylhexylphthalat (DEHP) oder Dibutylphthalat (DBP), sind als endokrine Disruptoren eingestuft, weil sie hormonähnlich wirken und Fruchtbarkeit, Schilddrüsenfunktion oder das Immunsystem beeinflussen können.

Obwohl ihre Verwendung in vielen Produkten bereits eingeschränkt wurde, sind sie in Tätowierfarben bislang nur lückenhaft reguliert. Was hierbei lange unbeantwortet blieb, ist, ob diese Substanzen beim Tätowieren vom Körper aufgenommen werden und wenn ja, in welchem Umfang?

Ein Problem, das nun von Branislav Kolena und seinen Forscher-Kollegen des Instituts für Zoologie und Anthropologie der Philosoph Konstantin-Universität in Nitra (Slowakei) in den Fokus gerückt wurde.

Wer das Original mal nachlesen möchte, findet hier den Link zur Phthalate-Studie (Fulltext).

Harmful Beauty – Temporal profile of urinary phthalate metabolites in tattooed volunteers from Slovakia

Kolena B, Prochácková N, Hlisníková H, Nagyová M, Petrovičová I. Harmful beauty – Temporal profile of urinary phthalate metabolites in tattooed volunteers from Slovakia. Toxicol Lett. 2025 Jun 4;410:96-106. DOI: 10.1016/j.toxlet.2025.06.005. Epub ahead of print. PMID: 40480447.

Veröffentlicht wurde in Toxicology Letters, was als multidisziplinäres Forum für 
toxikologische Forschung (IP. 2,9) dient und zu Science Direkt (Elsevier Verlag) gehört.

Die Studie „Harmful Beauty“ von Kolena et al. untersuchte nun erstmals, ob und wie Hochmolekulare Phthalate (HMWP) und niedermolekulare Phthalate (LMWP) aus Tätowierfarben systemisch in den Körper gelangen.

Dafür wurden bei sieben tätowierten Personen an fünf Tagen in Folge alle 24 Stunden Urinproben gesammelt und auf Phthalat-Metaboliten untersucht.

Das Ergebnis war, dass in fast der Hälfte der Proben (rund 48 %) erhöhte Konzentrationen kurz nach der Tattoo-Sitzung gemessen wurden. Sowohl bei hoch- als auch bei niedermolekularen Phthalaten.

Besonders auffällig war der Zusammenhang zwischen Tattoo-Farbe, -Größe und erhöhten Phthalatwerten. So war z. B. der Wert von Monohydroxy Isononyl Phthalat (OH-MiNP) bei farbigen Tattoos signifikant höher.

OH-MiNP ist ein Abbauprodukt von Diisononylphthalat (DINP), einem häufig verwendeten Weichmacher in Kunststoffen, wie PVC wie z.B. in Bodenbelägen, Kabelisolierungen, Rohren, Folien, Schuhen und vielen anderen Produkten.

Auch bestimmte Verhaltensmuster der Teilnehmenden (z. B. Hautpflege oder Lebensstil) schienen mit der Ausscheidung einzelner Phthalate zusammenzuhängen.

Die Ergebnisse der „Harmful Beauty“ Studie sind zwar spannend, sollten aber aufgrund der extrem kleinen Teilnehmerzahl noch mit Vorsicht betrachtet werden.

Die wichtigsten Ergebnisse hieraus:

  • Bereits kurz nach dem Stechen stiegen bestimmte Phthalat-Werte im Urin messbar an.
  • Die Werte waren zeitlich begrenzt, wobei der Peak bei 24–72 Stunden nach dem Tätowieren lag. Danach sanken die Werte wieder ab.
  • Die Stoffe wurden überwiegend über den natürlichen Stoffwechsel ausgeschieden.

Was bedeutet das?

Die „Harmful Beauty“ Studie zeigt, dass ein Teil der chemischen Bestandteile von Tätowierfarben vom Körper erkannt und ausgeschieden wird. Ähnlich wie bei Kosmetikprodukten oder Umwelteinflüssen. Das bedeutet nicht automatisch eine Gesundheitsgefahr, ist aber ein wichtiger Hinweis auf eine vorher unterschätzte Aufnahmequelle.

Während „Harmful Beauty“ nur den kurzfristigen Durchlauf von Chemikalien dokumentiert, ging die bereits 2017 begonnene Tat_BioV-Studie unter Leitung von Dr. Ines Schreiver (BfR) noch weiter.

Sie untersuchte, ob sich Pigmente und Additive aus Tattoo-Farben auch dauerhaft im Körper ablagern. Insbesondere in den Lymphknoten (was man nun dank Variot & Morau aber auch schon seit 1887 weiß).

Kernergebnisse hierbei waren:

  • Titandioxid und andere Farbpigmente konnten mithilfe modernster Analyseverfahren im Gewebe sichtbar gemacht werden.
  • Farbpartikel gelangten teilweise über die Blut- oder Lymphbahnen in benachbarte Organe.
  • In seltenen Fällen wurden geringe Gewebeveränderungen oder Immunreaktionen festgestellt.

Viele Pigmente (allerdings weniger als gedacht) bleiben dort, wo sie sein sollen. In der Haut. Ein kleiner Teil kann sich im Körper verteilen. Der Großteil der Tätowierfarben-Inhaltsstoffe wandert aus dem Körper ab. Das alles ist medizinisch nicht zwangsläufig bedenklich, zeigt aber, dass Tattoos mehr als nur ein bisschen Farbe in der Haut sind.

Entscheidend für die gesundheitliche Relevanz bei Tätowierungen sind die Menge, Häufigkeit, Hauttyp und die Zusammensetzung der Tätowierfarben. Dabei hängen die Risiken auch stark von der Expositionshäufigkeit und individueller Disposition ab:

  • Phthalate: Beeinflussung des Hormonsystems, Fruchtbarkeitsstörungen, möglicherweise Effekte auf Stoffwechsel oder Neuroentwicklung
  • Pigmente & Additive: Chronische Entzündungen, Schwermetallbelastung, mögliche Karzinogenität ultrafeiner Partikel
  • Vulnerable Gruppen: Schwangere, Jugendliche, Personen mit vielen oder großflächigen Tattoos

Die Ergebnisse beider Studien sollten nicht alarmieren, sondern sensibilisieren! Sie zeigen vor allen Dingen:

  • Der Körper reagiert auf Bestandteile von Tätowierfarben-Rezepturen. Aber er kann auch damit umgehen.
  • Nicht alle Tattoo-Farben oder Inhaltsstoffe sind gleich. Qualität, Herkunft und Zusammensetzung spielen eine entscheidende Rolle.
  • Individuelle Reaktionen (z. B. Allergien, Überempfindlichkeiten, Hautreaktionen) sind möglich, aber eher selten.

Die gute Nachricht ist, dass sich durch die bewusste Wahl von professionellen Tätowierfarben (REACH) und professionell arbeitenden Studios und Artists die Risiken stark reduzieren lassen.

  1. Studio mit Standards: Achte auf Hygiene, Zertifikate, REACH-konforme Tattoo-Farben.
  2. Inhaltsstoffe erfragen: Seriöse Tattoo-Artists geben Auskunft über Hersteller und Zusammensetzung.
  3. Hautpflege vor und nach dem Stechen: Eine gesunde, gepflegte Haut verringert das Risiko von Aufnahme oder Reaktionen.
  4. Tätowierungen gut planen: Große Flächen oder viele Sitzungen? Lass Dir ausreichend Zeit und Deinem Körper Raum zur Heilung und Regeneration.
  5. Auf den eigenen Körper & Bauch hören: Bei ungewöhnlichen Reaktionen (Schwellung, Knötchen, Ausschlag) nicht zögern, sondern zeitnah ärztlichen Rat einholen.

Die EU hat mit der REACH-Verordnung bereits äußerst strenge Grenzwerte für Tätowierfarben eingeführt. Doch neue Erkenntnisse, wie die aus der „Harmful Beauty“ und „Tat_BioV“ Studie zeigen, dass laufende Überprüfungen und Nachbesserungen notwendig wären und vor allen Dingen sind!!!

Doch Lücken bestehen weiterhin:

  • Phthalate in Tattoofarben sind nur eingeschränkt geregelt
  • Mangelhafte Deklaration bei Inhaltsangaben zu Tätowierfarben
  • Mangelhaftes Monitoring systemischer Effekte in der Praxis

Gleichzeitig wächst das Feld der tattoo-spezifischen Forschung. Ziel ist es dabei, Tätowierfarben zu entwickeln, die langfristig sicherer und verträglicher sind, ohne auf Lichtbeständigkeit, Haltbarkeit, Qualität und Ästhetik verzichten zu müssen.

Wissenschaft, Politik und Tattoo-Industrie stehen rund um die Tattoo-Gesundheit in der Verantwortung, besser zu informieren, transparenter zu kennzeichnen und gesundheitlich verträglichere Produkte zu entwickeln.

  • Tattoos sind sicherer denn je, wenn man bewusst und informiert an die Sache herangeht.
  • Die Forschung zeigt, dass bestimmte Farb- und Zusatzstoffe kurzfristig aufgenommen, ausgeschieden und andere wiederum langfristig eingelagert werden können.
  • Für gesunde Erwachsene mit gut gepflegter Haut und vertrauenswürdigem Tattoo-Studio ist das Risiko überschaubar und beherrschbar.
  • Studien wie „Harmful Beauty“ und „Tat_BioV“ helfen dabei, Transparenz zu schaffen, Produkte zu verbessern und Tätowierer und ihre Kunden zu schützen.

Eine Tätowierung ist mehr als eine Verzierung am Körper. Es ist ein bewusster Eingriff in Deinen Körper. Je besser Du informiert bist, desto schöner und sicherer wird das Ergebnis und wir lernen uns im Zweifel nie kennen.

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