Frankreich, 26. September 2023: Die Französische Nachrichtensendung Allo Docteurs (übersetzt: Hallo Ärzte) veröffentlicht eine von der Generaldirektion für Wettbewerb, Verbraucherangelegenheiten und Betrugsprävention (DGCCRF – Direction générale de la concurrence, de la consommation et de la répression des fraudes) ausgerufene Warnmeldung, genannt Rappel Conso (übersetzt: Verbrauchererinnerung) über zwei im EWR erhältliche Tätowierfarben.
Sollen jene beiden hier genannten Tätowierfarben doch tatsächlich den in der EU (dank REACH-Verordnung und deren Eintrag 75 mit Bezug auf Anhang 13) festgelegten Grenzwert von 0,7 ppm (0,00007 %) für Blei überschritten haben.
Quelle zum Nachlesen: https://www.allodocteurs.fr/alerte-sur-une-forte-presence-de-plomb-dans-plusieurs-encres-de-tatouage-35692.html
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Wie schädlich ist Blei für die menschliche Gesundheit?
Bei der Aufnahme über Lebensmittel, wie Fleisch- und Wurstwaren, Gemüse, Pilzen und Co. wird Blei aus dem Magen-Darm-Trakt bei Erwachsenen zu etwa 10% mit dem Blutstrom in Organe wie Nieren und Leber aber auch ans Nervensystem verteilt.
Die restlichen 90% können sich in Knochen und Zähnen ablagern. Der natürliche Abbau-Prozess ist äußert langsam, womit es im Laufe der Zeit zu Anreicherungen im Körper kommen kann.
Neben der Schädigung der Nerven und Nieren, sind ein defektes Herz-Kreislaufsystem, Hörverlust als auch eine verminderte Lern- und Gedächtnisleistung Folgen einer zu hohen Blei-Belastung.
Schlimmer noch, Blei vermindert nachweislich den Intelligenzquotienten. Heißt, Blei macht dumm und hat oben drauf auch noch eine krebserzeugende Wirkung.
Blei in Kosmetik-Produkten
Blei ist gemäß Anhang zur EU-Kosmetik-Verordnung VO (EG) 655/2013 für verbotene Stoffe in kosmetischen Mitteln nicht erlaubt.
Mögliche vorhandene Spuren dürfen nur in technisch unvermeidbaren und gesundheitlich unbedenklichen Mengen enthalten sein.
Der Knackpunkt bei der „gesundheitlich unbedenklichen Menge“ für Blei ist nun leider, dass man trotz neuerer Studien nicht feststellen konnte, wo die kritischen Endpunkte der Toxizität (Giftigkeit) für die menschliche Gesundheit genau liegen.
Bisherige Höchstwerte (25 µg/kg Körpergewicht und Woche) wurden durch die WHO und EFSA einfach aufgehoben.
Bei Tätowierfarben wissen wir nach Tattoo-REACH, dass maximal 0,7 ppm drin sein dürfen (wenn es technisch nicht anders geht) und angegeben werden muss.
Was wir bisher nicht wissen, ist, was Blei-belastete Pigmente da in der Haut eigentlich genau anstellen. Als mögliches Allergen ist Blei u.W.n. nicht klassifiziert. Dass es toxisch und möglich kanzerogen ist, bleibt bereits erwähnt.
Ab welcher Menge, weiß keiner! Was heißen also die 0,7 ppm maximaler Bleigehalt in Tätowierfarben? Und was ist, wenn der Wert darüber liegt?
Auf der RAPEX-Liste bewegt sich was
Aufgefallen ist die oben erwähnte Grenzwertüberschreitung von Blei in Tätowierfarben bei Kontrollen in Schweden und Tschechien bereits im Juni.
Schaut man im EU-weit aktiven RAPEX-Schnellwarnsystem unter dem Suchbegriff „Tattoo“ nach, fällt auf, dass seit Anfang 2023 (Scharfschaltung der REACH-Verordnung) sich schon einige Produktwarnungen angesammelt haben.
Klickt man sich als Verbraucher mal durch die Posten, baumelt man rasch zwischen „Ja nee, ist klar.“ und „What? Wieso?“ hin und her.
Bei unterschiedlichen Produktmarken, ihren Herstellern und Inverkehrbringern wurden verschiedenste Grenzwertüberschreitungen für Blei, Nickel, Kobalt, Naphthalin oder PAKs festgestellt.
Wenn man liest, dass Gehaltswerte von Blei von 5,1 ppm bei erlaubten 0,7 ppm gefunden wurden, gruselt es einen im ersten Moment.
Der nächste Klick relativiert sogleich mit festgestellten Blei-Werten von bis zu 1,2 mg/kg Gewicht. Aus den Schuhen gehoben wird man einen Klick weiter, wenn ein gemessener Wert von 25% (Gewichts-Prozent, Gew.%) angezeigt wird.
Da mussten wir dann doch mal kurz den Tätowierfarben-Profi fragen. Er bestätigte uns, dass man sich bestenfalls nur verrechnet haben könnte oder tatsächlich 25 g/kg Blei gefunden wurden.
„Erstaunlich!“ Ob die Werte alle so richtig ist, wissen wir leider nicht. Blickt hier noch einer durch?
Ab hier könnte man es fast für irrelevant halten, dass teils auch fehlende REACH-geforderte Sicherheitshinweise auf Etiketten angeprangert wurden.
Wie zum Beispiel „Enthält Nickel. Kann allergische Reaktionen hervorrufen“. Letzteres ist besonders blöd, wenn eben jener Stoff mit einer markanten Grenzwertüberschreitung in betroffener Tätowierfarbe gemessen wurde.
Unser RAPEX-Eindruck
Alles in allem hinterlässt die RAPEX-Surferei bei uns einen merkwürdigenden Eindruck. Gut ist, dass kontrolliert wird und Auffälligkeiten für jeden ersichtlich kommuniziert werden!
Gut ist auch, dass nach nunmehr 9 Monaten das Gros der als REACH-konform deklarierten und von Tattoo-Profis verwendeten Tätowierfarben-Marken nicht in der RAPEX auftaucht.
Die Fragen, die dazu bei uns natürlich bleiben, sind, wie wurde gemessen und kontrolliert und wurden überhaupt schon alle kontrolliert?
Schaut man sich derweil die aktuelle Produktauswahl mal in der RAPEX-Übersicht an, darf der Gedanke erlaubt sein. „Wo habt Ihr die denn her“?
Traut sich die landesspezifische Kontrollbehörde etwa nicht ins Tattoo-Studio oder gar zum Tattoo-Supply und bestellt Ihr lieber bei Wish, Amazon & Co.?
The product does not comply with the REACH Regulation – ja und?
Schlecht ist, dass trotz RAPEX-Meldung nix passiert.
Jedenfalls wenn wir eine – wir wollen sie nicht Tätowierfarbe nennen – zwar geprüft und aufgrund von zu hoher Blei-Belastung im Januar 2023 mit „The product does not comply with the REACH Regulation“ deklariert wurde, sie aber trotzdem über unterschiedliche Online-Marketplaces eines großen deutschen Konzerns weiterhin erhältlich ist.
Gut ist daher, dass professionelle Tätowierer nicht online beim Elektronikriesen, sondern beim professionellen Tattoo-Supply ihres Vertrauens einkaufen. Die informieren ihre Kunden und klären die Läger. Schlecht ist, dass Privatkunden für ihre DIY-Tätowierung für zu Hause eher nicht beim Tattoo-Supply einkaufen!
Frankreich warnt und Deutschland nicht?
An dieser Stelle jetzt erstmal einen ganz herzlichen Dank an Frankreich. Vor allen Dingen an den hier ansässigen Tätowierer-Verband S.N.A.T. – Syndicat National des Artistes Tatoueurs.
Er hat uns mit seinem Social-Media-Post auf die eingangs erwähnte behördliche Warnmeldung überhaupt erst aufmerksam gemacht.
Deutschland hätte zwar auch alle digitalen Voraussetzungen und rechtlichen Anforderungen solche Warnmeldungen und Informationen (nach § 40 Absatz 1 und Absatz 2 LFGB) ans Volk zu kommunizieren aber leider scheint beim hierfür zuständigen Bundesamt keiner im Büro zu sein.
Die Webseite LEBENSMITTELWARNUNGEN, die vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) betrieben wird, hat als „das Portal der Bundesländer und des BVL“ sogar einen eigenen Menü-Punkt „Mittel zum Tätowieren“!
Hierin dürften nach dem bundesweiten Überwachungsplan der Bundesregierung wohl alle Überwachungsbehörden der Länder ihre erhobenen Daten melden.
Aber vielleicht ist auch das BMUV zuständig, das die Safer-Tattoo Kampagne vom BMEL übernommen hat. Zur Tattoo-REACH findet man hier allerdings nix.
Deutschland warnt aber auch. Vielleicht eher als Holschuld denn als Bringschuld und primär auf Geschäftsebene.
Aber die deutschen Tattoo-Supplies, und im weiteren B2B-Austausch die Tätowierer, sind informiert und reagieren schnell.
Man ist auch als Verbraucher dazu verpflichtet sich über Tätowierfarben zu informieren!
Natürlich! Diesen Satz hören wir regelmäßig und er ist sicherlich auch nicht verkehrt. Aber vom Verbraucher (hier: Tattoo-Kunde) zu verlangen so tief ins Geschehen des Regelwerks der Europäischen Tattoo-REACH einzusteigen, scheint uns ein wenig übertriebene Erwartungshaltung.
VERBRAUCHERSCHUTZ bedeutet nicht, dass der Verbraucher sich selber schützt, sondern dass er geschützt wird! Dies beruht auf der Grundlage, dass Verbraucher gegenüber Herstellern und Inverkehrbringern von Waren und Dienstleistungen strukturell unterlegen sind.
Das heißt infolge geringerer Fachkenntnis, Information und Erfahrung benachteiligt zu sein. Dieses Ungleichgewicht soll der Verbraucherschutz sinnvoll ausgleichen.
Konsequenzen der Tattoo-REACH für Tätowierer, ihre Tattoo-Kunden, Tattoo-Supplies und Tätowierfarben-Hersteller
Die Tattoo-REACH wiegt für alle schwerer als Blei. Liest man die aktuellen Kunden-Kommentare hier und da, so scheint beim Verbraucher mehr als große Sorge ums eigene Tattoo und die damit verbundene Gesundheit getriggert worden zu sein.
Jene besorgten bunten Bürger mögen aber doch bitte mal den jeweiligen Höchstgehalt von Blei bei Pilzen, Gewürzen, Fleisch und Co. checken und mit der geschätzten Menge in ihrer verzierten Haut vergleichen.
Da ist die Tattoo-REACH vielleicht gar nicht so schlecht, wenn sie versucht, den Bleigehalt in Tätowierfarben so gering wie möglich zu halten und zu kontrollieren.
Für den Verbraucher dürfte nun allmählich auch klar werden, welchem immensen Einfluss der Tattoo-REACH die Tätowierfarben-Hersteller, -Inverkehrbringer und Tätowierer im weiteren Verlauf ausgeliefert sind.
Übrigens von allen hier Erwähnten bereits seit Jahren angemerkt und diskutiert.
Der Aufwand, der nach Überprüfung der vermeintlich REACH-konformen doch auffällig gewordenen Tätowierfarben im EWR nun wieder vom Markt zu holen, neu zu formulieren und seine bereits mit diesen Produkten verzierten doch besorgten Tattoo-Kunden zu beschwichtigen, ist immens.
Die erste Gegenfrage aus der Branche müsste dazu lauten: Wie haben Schweden und Tschechien eigentlich genau geprüft? Welches Verfahren kam zur Anwendung?
Dies ist weder in der EU noch den einzelnen Ländern einheitlich geregelt und hat dazu zur Folge, dass unterschiedliche Ergebnisse zutage geliefert werden können. Aber wer setzt sich da hin und fragt mal die EU- oder Landesbehörden?
Diejenigen, die dabei aktuell an vorderster Front kämpfen, ist das S.N.A.T. zusammen mit Save the Pigments und dem Council of European Tattoo Associations (CETA). Hier findet man auch weitere relevante und wichtige Erläuterungen zu den Konsequenzen für die Tattoo-Branche.
Also, unbedingt mal lesen: https://syndicat-national-des-artistes-tatoueurs.assoconnect.com/articles/124844-le-snat-saisit-la-justice-europeenne-pour-les-encres-de-tatouage und mit unterstützen.
ANMERKUNG:
Wir haben es bewusst vermieden Produktnamen, Hersteller oder Inverkehrbringer namentlich zu nennen oder gar zu verlinken.
Hier geht es nicht um Diffamierung (für die GenZ+: Bashing), sondern darum, auf die Folgen der Tattoo-REACH aufmerksam zu machen.