Über die REACH-Situation nach 6 Monaten & Ergebnisse der SNAT-Umfrage (FRA)
* Titel und Auszüge aus Tatouage Magazine Nr. 146 (Mai/Juni 2022) veröffentlicht am 18.08.2022 (mit freundlicher Genehmigung durch S.N.A.T.- Syndicat National des Artistes Tatoueurs)
Seit dem 4. Januar 2022 entspricht keine vor diesem Datum auf dem Markt verkaufte Tätowierfarben den neuen Regeln der Europäischen Union. Ohne echte Alternativen von Seiten der Hersteller und Händler befinden sich die europäischen Tätowierer in einer völlig neuen Situation, in der das Gesetz nun eher Chaos als Harmonie hervorruft.
6 Monate nach Inkrafttreten der neuen europäischen Tattoo-REACH Verordnung hat sich die Situation in den Tattoo-Studios kaum verändert:
- Nur eine Hand voll Hersteller bietet neue Tätowierfarben mit der Kennzeichnung „REACH compliant“ (= konform“) an. Bis 2021 waren es noch mehr als dreißig;
- Viele Farbtöne und Nuancen fehlen in professionellen Katalogen, da sich einige Markenhersteller bisher auf Schwarz, Grau und/oder Weiß beschränken;
- Distributoren tröpfeln ihre REACH-konformen Produkte in den Markt, ohne einen wirklichen Überblick über die Lieferung neuer Bestände zu haben;
- Der durchschnittliche Preis für Farbfläschchen hat sich mindestens verdoppelt , manchmal sogar vervierfacht;
- Alt-Bestände aus der Zeit vor 2022 verbreiten sich weiterhin. Entweder aus den Schränken von Tätowierern, die nicht immer wissen, ob ihre Tätowierfarben den Anforderungen entsprechen, oder aus den Regalen von Händlern, die sie als „nicht konform“ oder „Zeichentinte“ verkaufen.
Kurz gesagt: Seit dem 4. Januar 2022 …
- wurden 25 Pigmente aus Tätowierfarben verbannt;
- unterliegen mehrere wesentliche Stoffe strengsten Beschränkungen, die in den meisten Fällen technisch nicht umsetzbar sind;
- schreiben verschärfte Etikettierungsvorschriften unter anderem vor, dass eine Tätowierfarbe als „Mischung für Tätowierungen (oder Permanent Make-up)“ bezeichnet werden muss und dass Inhaltsstoffe angegeben werden müssen, die bisher nicht angegeben wurden.
Was den letzten Punkt betrifft, so wundern sich Tätowierer und Tätowierte, dass auf den neuen Farbfläschchen eine Unmenge von ebenso wenig bekannten wie besorgniserregenden Begriffen zu finden ist, um nur das Beispiel Nickel zu nennen.
Sein schiere Vorhandensein in einer Tätowierfarbe muss nun zwingend angegeben werden, auch wenn seine Menge den zulässigen Grenzwert nicht überschreitet und manchmal nicht einmal messbar ist.
Die neuen gut sichtbaren Sicherheitspiktogramme beruhigen zudem niemanden wirklich, aber es ist nichts vorgesehen, um diesen perversen Effekt der Vorschriften zu beheben.
Daher ist man nicht nur über die kurz-, mittel- und langfristige Wirkung und Heilung der neuen Tätowierfarben besorgt, sondern auch über ihre Zusammensetzung. In Bezug auf das Vorsorgeprinzip ist es schwer zu sagen, ob es ein Erfolg oder ein Misserfolg ist!
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Farbechtheit und Haltbarkeit von Tattoos: Ein offenes Geheimnis??
Da es keine großen Mengen an Testfarben gibt und keine ausreichenden Erfahrungswerte vorliegen, teilen nur wenige Fachleute ihre Feedbacks zu den neuen Tätowierfarben.
Die ersten Rückmeldungen sind vorsichtig gemischt: Während sich einige manchmal mit einer frisch ausgeführten Arbeit zufrieden zeigen, stellen andere bereits nach nur drei Wochen Abheilung ein Verblassen der Farbtöne – einschließlich Schwarz – fest.
Es ist natürlich noch zu früh, um zu wissen, welche Aussagen am zuverlässigsten sind und nur eine langfristige Betrachtung wird mehr Aufschluss geben.
In Frankreich sammelt die S.N.A.T. so gut es geht die verfügbaren Daten und hat Tätowierern im Februar und Mai 2022 zwei Fragebögen angeboten.
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Die Leugnung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA)
Wir erinnern daran, dass die europäische REACH-Verordnung ihre Wurzeln im Jahr 2016 hat. In diesem Jahr beauftragte die Europäische Kommission die ECHA (Europäische Chemikalienagentur) damit, die Notwendigkeit einer Beschränkung bestimmter Substanzen in Tätowiermitteln zu bewerten.
In Frankreich hat die S.N.A.T., sowie andere Berufsverbände in Europa, die öffentlichen Konsultationen der ECHA fast 5 Jahre lang begleitet. Das war Zeitverschwendung. Die ECHA war nicht in der Lage eine solide wissenschaftliche, technische oder wirtschaftliche Studie zusammenzustellen.
Ein Mangel an Daten war für alle offensichtlich, was sie nicht daran hindert hat einen Bericht von mehr als 500 Seiten voller Annäherungen und Hochrechnungen zu erstellen **: Eine endgültige „Zusammenfassung“ von weniger als 100 Seiten diente als einzige Referenzgrundlage, um die vorgeschlagenen Beschränkungen durchzusetzen.
In einem Frage-und-Antwort-Webinar vom 29. März 2022 räumte die ECHA akribisch alle unangenehmen Fragen als „off-the-shelf“ aus dem Weg und unterzeichnete damit eine Absage an jede argumentative Beanstandung.
** Eine kritische und detaillierte Lektüre dieses Berichts, die im Auftrag der S.N.A.T. durchgeführt wurde, ist auf Anfrage unter contact@snat.info erhältlich.
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Steht das Schlimmste noch bevor?
Auch wenn die Situation schon extrem angespannt ist, kann man sich kaum vorstellen, wie man mit der nächsten Frist umgehen soll.
Zwei weitere Pigmente, die „berüchtigten“ BLUE 15:3 und GREEN 7, sollen ab dem 4. Januar 2023 verboten werden und sich damit zu den 25 Pigmenten gesellen, die bereits seit einem Jahr verboten sind.
Kein Hersteller oder Tattoo-Supply spricht gerne darüber: Diese beiden Pigmente befinden sich jedoch immer noch in den „neuen“ Tätowierfarben, die angeblich REACH-konform sind.
Glauben die Hersteller noch an ein Wunder in letzter Minute? Niemand hat zum Zeitpunkt, an dem wir diese Zeilen schreiben, eine Fortsetzung des Szenarios vorgesehen. Keine rechtliche oder politische Lösung kann uns kurzfristig aus dem europäischen Sumpf ziehen, in dem wir gefangen sind und in dem wir ab 2023 ertrinken könnten.
Ohne weitere Änderungen bis dahin werden fast alle Farbpaletten verschwinden, was bereits Ende 2022 der Fall sein wird. Es ist kein Zufall, dass einige Hersteller nur noch Schwarz anbieten!
Um das Bild zu vervollständigen, zögern Kommunikationskampagnen in Europa und den USA nicht, die mit Tätowierfarben verbundenen Risiken „anzuprangern“, indem sie alarmierende Begriffe verwenden, auf fehlende Daten verweisen und sich auf das heilige Vorsorgeprinzip berufen.
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Unterstütze diejenigen, die kämpfen!
Nur der Kampfgeist einer Handvoll hartnäckiger Vertreter unserer Branche lässt auf einen potenziellen Ausweg aus der regulatorischen Sackgasse hoffen.
Insbesondere durch die bemerkenswerte Initiative von @Savethepigments , die den Austausch mit der Europäischen Kommission und allen möglichen politischen Gesprächspartnern ständig wiederbelebt.
Ihre beim Europäischen Parlament registrierte Petition hat mehr als 178.000 Unterstützer gesammelt. Ein historischer Rekord auf dieser institutionellen Ebene. Diese wurde dennoch im Juli 2022 ohne bisherige Erklärung der Europäischen Kommission geschlossen.
Mit Unterstützung von CETA ( Council of European Tattoo Associations ) und der ESTP ( European Society of Tattoo and Pigments Research ), könnte Save the Pigments einen letzten Versuch unternehmen, die schicksalhafte Frist zu verlängern und vorschlagen, die Grenzwerte realistisch anzupassen.
Zu den Argumenten gehört, dass Großbritannien und Australien bisher davon abgesehen haben, die Beschränkungen für das Pigment Blue 15:3 zu befolgen. Die Briten haben bisher nicht beschlossen, das Pigment Green 7 auszuschließen.
Es wäre mehr als wünschenswert, wenn Europa diesen Beispielen folgen würde, zumal sogar das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die Forderungen der Tattoo-Industrie im Großen und Ganzen unterstützt!
Das Engagement und die Unterstützung jedes einzelnen Tätowierers bleiben unverzichtbar
Indem man beispielsweise seinem europäischen Tattoo-Verband beitritt, wie der S.N.A.T. in Frankreich, trägt man zu dieser kolossalen Arbeit bei.
Wie bei der Durchführung von rechtlichen Bewertungen (Legal Assessment), die von allen CETA-Mitgliedern finanziert wurde und im weiteren Sinne bei der Zusammenführung von beruflichen Daten hilft.
Über diesen weiterführenden Link-Button gelangen Sie zu den SNAT-Umfrageergebnissen über die AUSWIRKUNGEN AUF DIE PRAXIS durch die REACH-Verordnung.
2 Fragebögen offen für professionelle Tätowierer
– vom 9. bis 20. Februar 2022 und vom 4. bis 14. Mai 2022
– Versand per Post (1.500 Mitglieder) + Facebook (+ 14.000 Betroffene)
– 768 Befragte im Februar registriert; 600 Befragte im Mai
DIE AUSWIRKUNGEN DER EUROPÄISCHEN BESCHRÄNKUNGEN AUF DEN MARKT FÜR TÄTOWIERFARBEN
übersetztes Text-Zitat aus Quelle: https://syndicat-national-des-artistes-tatoueurs.assoconnect.com/articles/100175-encres-de-tatouage-le-plus-dur-reste-a-venir