Das Bedürfnis nach Einzigartigkeit und Körpermodifikation.
Selina Maria Weiler, M.Sc. von der Abteilung für Experimentelle Psychologie der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg, ist mit ihren Kollegen der Frage nachgegangen:
„Modifizieren Individuen ihren Körper, um einzigartig zu sein?“
- Veröffentlichung bei PLOS ONE: 3. März, 2021 https://doi.org/10.1371/journal.pone.0245158
In der uns hier nun vorliegenden Studie (Querschnittstudiendesign), wurde das Bedürfnis dieser Individuen nach Einzigartigkeit als mögliche Motive für die Veränderung des eigenen Körpers untersucht.
Selina hat hierfür gemeinsam mit Ihren Kollegen Bjarn-Ove Tetzlaff, Philipp York Herzberg und Thomas Jacobsen 312 Teilnehmer-Daten eingeholt (Online-Befragung bei Studenten) und anhand der deutschen Need-for-Uniqueness-G-Globalskala (NfU) und drei weiteren Subskalen nach ihren Körpermodifikationen (Tätowierungen, Piercings und extreme Körpermodifikationen) ausgewertet.
Dazu unsere Frage:
Es gibt eine Skala die festhält und auswertet, wie stark unser Wunsch nach Einzigartigkeit ist? In Zahlen? Ja!
Wie die Website der HSU in Hamburg selber dazu schreibt: „Tätowierungen, ein maßgeschneiderter Anzug oder eine abweichende Meinung – all diese und viele weitere Merkmale können Ausdruck des Bedürfnisses nach Einzigartigkeit sein (Need for Uniqueness, NfU; Snyder & Fromkin, 1977).
Dahinter steht der Wunsch, sich von anderen zu unterscheiden, sich von der „grauen Masse“ abzuheben und in irgendeiner Form besonders zu sein. Das Bedürfnis, einzigartig zu sein, ist interindividuell unterschiedlich ausgeprägt und kann sich in verschiedenen Verhaltensweisen niederschlagen.
Personen mit einem hohen Bedürfnis nach Einzigartigkeit vertreten offen ihre Meinung und zeigen die Bereitschaft, gegen gesellschaftliche Regeln und Konventionen zu verstoßen (Snyder & Fromkin, 1977; Imhoff & Erb, 2009). Sie sind eher bereit, Risiken einzugehen, sind eher extravertiert, kreativ und offen für neue Erfahrungen.
Eine große Rolle spielt das Motiv auch im Konsumverhalten des Menschen (Lynn & Snyder, 2002). So kann sich das Bedürfnis nach Einzigartigkeit beispielsweise darin äußern, dass Konsumenten seltene, originelle oder individuell gefertigte Produkte bevorzugen, besondere Läden aufsuchen oder erhöhte Innovationsbereitschaft zeigen (Lynn & Harris, 1997).
Gerade im angloamerikanischen Raum werden Konsum- und andere Verhaltensweisen durch das Bedürfnis nach Einzigartigkeit erklärt. Um die Bedeutung dieses Motivs auch im deutschsprachigen Bereich untersuchen zu können, mangelte es bis vor Kurzem an einem deutschen Fragebogen.
In unserem Forschungsprojekt haben wir ein solches Erhebungsinstrument in Anlehnung an vorhandene englischsprachige Fragebögen (Lynn & Harris, 1997; Snyder & Fromkin, 1977) entwickelt.
Mit Hilfe experimenteller Studien haben wir diesen Fragebogen validiert und weiterentwickelt, um das Bedürfnis nach Einzigartigkeit zuverlässig und gültig erfassen zu können (Schumpe, Herzberg & Erb, 2016).“
Wer sein Bedürfnis nach Einzigartigkeit selber gerne mal messen und testen möchte, der kann das gerne hier durchführen.
>> https://ilias.hsu-hh.de/goto_unibw_cat_18641.html
Selinas et al. Studie ergab nun, dass tätowierte, gepiercte und extrem körpermodifizierte Personen höhere NfU-G-Werte aufwiesen als Personen ohne Körpermodifikationen.
Außerdem schien es, dass Menschen mit Tätowierungen eine soziale Komponente berücksichtigten, während sie sich nicht um die Reaktion anderer auf ihre Tätowierungen kümmerten, obwohl sie keine Kränkung beim Betrachter verursachen wollten.
Im Gegensatz dazu neigten gepiercte und extrem körpermodifizierte Personen dazu, Regeln aktiv zu missachten und sich nicht um die Meinung anderer zu ihren Modifikationen zu scheren.
Obwohl statistisch signifikant, war die Effektstärke (d ) für die NfU-G-Differenzen in den mittleren Werten der tätowierten und gepiercten Teilnehmer in allen drei Subkomponenten klein bis mittel. Die extrem körpermodifizierte Gruppe zeigte dabei mittlere bis große Effekte.
Darüber hinaus beobachtete die Studie, dass die Zahl der Körpermodifikationen mit steigender NfU bei tätowierten und gepiercten Personen zunahm.
Diese Ergebnisse zeigten vielfältige Wechselbeziehungen zwischen der NfU, ihren Teilkomponenten und den drei Arten von Körpermodifikationen, die in der vorliegenden Studie untersucht wurden.
„Dies unterstützt“ laut Selina et.at. „die Idee, dass tätowierte Menschen den Drang haben, ihre Einzigartigkeit in einem sozialen Kontext auszudrücken, der nicht unbedingt beabsichtigt, andere damit zu beleidigen [ 49].
Man kann davon ausgehen, dass tätowierte Personen, die eine höhere Punktzahl als nicht tätowierte Personen in der NfU aufweisen, Tattoos als sozialen Aspekt ihres Lebens verwenden.
Da Tätowierungen immer beliebter werden, hat der Erwerb einer Tätowierung nichts mit der Nichteinhaltung von Regeln zu tun, da es keine Regeln mehr gibt, die jemanden davon abhalten könnten, sich tätowieren zu lassen oder soziale Ausgrenzung oder den Drang zu riskieren, seine Einzigartigkeit auszudrücken ihre Überzeugungen öffentlich und offen zu verteidigen.“
Unsere Frage an dieser Stelle lautet:
Ist es aber nicht eventuell doch abhängig davon, welches Tattoo-Motiv man sich stechen lässt und was man selbst damit ausdrücken will? Denn es gibt Tattoo-Motive die eben genau diese Nichteinhaltung von Regeln ausdrücken sollen!
„Personen, die sich nicht an die Regeln halten, respektieren möglicherweise die Normen der Bescheidenheit und Höflichkeit nicht, was mit dem Wunsch verbunden sein kann, diese Überzeugungen öffentlich zu verteidigen [ 54 ], was zu einer sozialen Stigmatisierung führt [ 55 ]. Dies scheint von tätowierten Personen unerwünscht zu sein.
Die Ergebnisse stützen die Annahme, dass Körpermodifikationen ausgenutzt werden können, um Selbstdarstellung zu schaffen oder Identitäten zu konstruieren. Die einzigartige Hervorhebung des Körpers kann zu einer verbesserten Wahrnehmung der eigenen Einzigartigkeit beitragen [72 ].
Körpermodifikationen können daher ein wesentliches Medium zur Entwicklung einzigartiger Identitäten mittels physischer Erscheinung sein.“
Anmerkung: Interessante Studien-Ergebnisse, Interpretationen und Aussagen die hier von Selina und ihren Kollegen erarbeitet und getroffen werden.
Schade nur, dass die Befragung lediglich unter Studenten stattgefunden hat. Eine breitere Querschnittstudie durch die Bevölkerung wäre sicherlich wünschenswert.