Anlässlich unseres Besuches auf der Tattoo & Piercing Convention 2013 in Dortmund sind wir neben unserem Hauptthema Tattooentfernung auch auf das Thema „süchtig nach Tattoos“ angesprochen worden.
Persönliche Motive für die Entscheidung, sich tätowieren zu lassen, sind so vielfältig wie die Hautbildchen selbst. Das reicht vom diffusen Empfinden des Schönen bis zum Wunsch seiner Identität durch Körpermodifikation einen bleibenden Schliff zu verleihen. Für manche ist es eine Form von Erinnerungskultur. Nicht zu vergessen, dass ein Tattoo gerne auch als bleibendes Kennzeichen pubertärer Revolten gegen die Eltern zum Einsatz kommt.
Selbst ehemalige Fledermausmörder wie Ozzi Osbourne sind davon nicht verschont geblieben – Papa warnt: “Tattoos können süchtig machen!“ Tochter Kelly lässt sich prompt tätowieren. Da sah der Rocker ganz schön alt aus! Heute bereut Kelly Osbourne die Zeichen ihrer Teenager-Rebellion und lässt sich die Tattoos weg lasern. Man kann immer noch einen drauf setzen. Und darum geht es wohl häufig – Überlegenheit durch Überbietung. Dieses Motiv ist so alt wie die Menschheit.
Manchmal wird die Arbeit am Selbstbild aber zur Dauerbaustelle. Dann erscheint die Oberfläche des eigenen Körpers als Grenze, die es zu überwinden gilt. Darin besteht ein gewisser ›Kick‹. Und nach der Grenze ist vor der Grenze. Sich selbst zu einer Identität zu formen, kann zum unabschließbaren Projekt, möglicherweise zum Zwang geraten. Wenn es nicht Kunst ist, dann wird es zur Last.
An diesem Punkt fragt man sich, ob eine Form von Sucht vorliegt.
Als Warnzeichen (drei aus sechs zutreffenden Kategorien deuten hierbei bereits auf ein Suchtproblem hin) gelten:
- drängender Wunsch, zwanghaftes Wiederholungsverhalten
- Kontrollverlust
- Unfähigkeit zum Verzicht
- Gewöhnungseffekt
- Entzugserscheinungen
- Interessenverlust und Vernachlässigungstendenzen
Auf den ersten Blick möchte man diese Signale eher dem Substanzmissbrauch zuordnen. Physische Entzugserscheinungen kommen beim Tätowieren eher selten in Frage und über die Deutung der Kategorie Kontrollverlust ließe sich auch trefflich streiten. Doch gehören in den Themenkreis der Abhängigkeit nicht allein die ›Klassiker‹ Alkohol, Tabak und illegale Rauschmittel, sondern ebenfalls Verhaltenssüchte.
Die Glücksspielsucht dürfte die bekannteste sein, Essstörungen zählen ebenfalls dazu, Computerspiele und das Internet werden mittlerweile auch in diesem Zusammenhang thematisiert – zum Thema Sucht und Tätowierung wie anderer Body Modifications stehen Untersuchungen jedoch aus. Diese dürfte der ungebrochene Trend zur Modifizierung des eigenen Körpers früher oder später nach sich ziehen.
Die Frage, die man sich in diesem Zusammenhang vielleicht stellen sollte, lautet: Kann und will ich mit meinen wiederkehrenden Besuchen im Tätowierstudio Gefühle von Frustration, Unsicherheit und Angst verdrängen oder zumindest regulieren? In diesem Falle wäre eine psychologische Beratung weder ehrabschneidend noch das Eingeständnis einer psychischen Erkrankung. Sie wäre ein Beitrag zur Selbstversicherung – das ist ebenfalls Arbeit an der eigenen Identität.
Einen interessanten und passenden SAT 1 Magazin TV-Beitrag von der Tattoo & Piercing Convention 2013 finden Sie zum Thema Tattoo-Extrem über diesen Link (leider offline).